Sozialistische Initiative Berlin

Neue antikapitalistische Organisation? Na endlich!

 


Worüber müssen wir uns verständigen und worüber nicht

„Sie ärgern sich zwar über Eure Lektion, aber sie können trotzdem nicht aufhören, ‚Klasse’, ‚Proletariat’ und ‚Revolution’ mit demselben Akzent zu sagen wie Ihr, nämlich mit dem Akzent der III. Internationale.“
Offener Brief von MANIFESTO an LOTTA CONTINUA 1972 (1)

Teile der (post)autonomen Bewegung / der radikalen Linken diskutieren z. Z. sehr ernsthaft die „Organisationsfrage“ (die AVANTIS sprechen sogar von einem „Neuen kommunistischen Projekt“), was wir auf’s Schärfste begrüßen.

Sicher nicht zufällig fällt die Diskussion zusammen mit einer Krise der ‚Interventionistischen Linken’ (IL) als Struktur, Debattenforum, „Dachverband“ der außerparlamentarischen Linken in Deutschland.

Die (Selbst)kritik an den offenkundigen Defiziten der IL – mangelnde bzw. überhaupt nicht vorhandene Verbindlichkeit, linksradikale „Selbstreferenzialität“, keine erkennbare strategische Ausrichtung („Eventhopping“), mangelnde Klassenorientierung geht u. E. in die richtige Richtung.

Wobei wir keineswegs verdrängen, dass „unsere Richtung“, also die „traditionelle“ klassenorientierte radikale Linke, sich in den letzten Jahren und Jahrzehnten ebenfalls nicht gerade mit Ruhm bekleckert hat.

Soll die Überwindung sowohl der unverbindlichen „Konferenzeritis“ als auch des sektiererischen Zirkelwesens wirklich gelingen, müssen „Marxismus“ und „Autonomie“, Links-Sozialisten / Links-Kommunisten und Bewegungslinke eine solidarische und kontroverse, ergebnisoffene und zielgerichtete Debatte anfangen.

Dabei werden alle Beteiligten auf liebgewordene Vorurteile verzichten müssen: Die einen haben mehr zu bieten als „Parteibuch-Marxismus“, die anderen mehr als „Autozündelei“.

Wir wollen uns mit diesem Papier ernsthaft an der Debatte beteiligen und sind – Einigung in entscheidenden Fragen und eine gewisse Performance des neuen Projekts vorausgesetzt – auch zu organisatorischen Konsequenzen bereit.

„Ernsthaft“ hieß für uns u. a., nicht nur das zu wiederholen, was wir immer schon gesagt haben, sondern uns auch mit dem auseinanderzusetzen, was die potentiellen Partner meinen.

Allerdings gestaltete sich die „Quellenlage“ für uns etwas schwierig – der programmatische „Output“ der (Post)autonomie zur beginnenden Diskussion ist recht überschaubar (vielleicht liegt das auch daran, dass die Debatte – noch – etwas „klandestin“ geführt wird).

Fündig wurden wir bei AVANTI, nämlich dem „Grundsatzpapier“ vom Mai 2004, mit welchem wir – was uns selbst überrascht hat – ein hohes Maß an Übereinstimmung festgestellt haben.

Soweit nicht anders gekennzeichnet, beziehen wir uns bei den Zitaten auf dieses Dokument.

Wir wollen damit niemanden „erschlagen“ oder „Pflöcke einschlagen“ in einer Diskussion, die ja erst beginnt – wir hoffen vielmehr, dass die Leser dies als Ausdruck unseres Interesses an einer seriösen Diskussion werten.

„Wir“ – das ist eine kleine Berliner Gruppe (eher Diskussionszusammenhang) von mittelalten bis älteren Genossen, die vorwiegend linkssozialistisch / trotzkistisch sozialisiert sind.

Für die hoffentlich bevorstehenden Barrikadenkämpfe sind wir eher nicht mehr geeignet (wird immer schlimmer mit den Zipperlein), dafür bringen wir was anderes mit: jede Menge Erfahrung.

Denn seit frühester Jugend träumen wir nicht von Modelleisenbahnen, sondern von einer revolutionären Massenorganisation. Und wahrlich, wir haben das in den letzten Jahrzehnten – in teilweise unterschiedlichen Zusammenhängen – schon ein paar Mal probiert. Bisher ist es immer mehr oder weniger in die Hose gegangen. Warum also sollte es 2011 / 2012 anders laufen?

Welche Krise?

Die Hungerrevolten 2009 in Afrika und Lateinamerika, ganz aktuell die Aufstände im Maghreb und in Arabien, Massenstreiks in Frankreich, Griechenland, Portugal, überfüllte Suppenküchen in Spanien. Auch im „sozialpartnerschaftlichen“ Europa seit den 1920 / 30er Jahren nicht mehr gekannte Angriffe auf Beschäftigte, Erwerbslose, Rentner, Schüler und Studenten.

In Irland sollen die Staatsausgaben bis 2017 um 50 % (!) reduziert werden. Kevin McLoughlin, Vorsitzender der ‚Socialist Party’ und Koordinator der ‚United Left Alliance’ kommentierte das anschaulich so: „Die irische Jugend hat nur zwei Möglichkeiten: kämpfen oder auswandern.“

Nach der Verdreifachung der Studiengebühren in England und den von berittener Polizei niedergeknüppelten militanten Protesten erklärte nicht das ‚Unsichtbare Komitee’, sondern der Polizeichef von London: „Wir stehen vor einer Periode verschärfter Klassenkämpfe, die polizeiliche Taktik muss sich darauf einstellen.“

Europa und die Welt in Aufruhr, nur Deutschland im sozialpartnerschaftlichen Dornröschenschlaf. Natürlich können MarxistInnen das erklären, aber frustrierend ist es trotzdem. Laut einer demnächst erscheinenden Studie der Hans-Böckler-Stiftung war 2010 das Jahr mit den wenigsten Streiktagen seit langem in Deutschland. Die Vorarbeiten der rot / grünen „Agenda-Politik“ machen sich jetzt bezahlt – für das deutsche Kapital, das (wettbewerbsfähig wie nie zuvor) die Krise sozusagen „exportieren“ konnte. Der Merkel-Regierung ist also gelungen, was sie sich vorgenommen hatte, Deutschland „gestärkt aus der Krise“ zu führen.

Das zugegebenermaßen handwerklich sehr geschickte Krisenmanagement (Abwrackprämie, Verlängerung des Kurzarbeitergeldes, kein Frontalangriff auf die regulär Beschäftigten, sondern auf die Marginalisierten) konnte sich allerdings nicht nur auf die deutsche Gewerkschaftsbürokratie (insbesondere der IGM), sondern auch auf die Stimmung in vielen Betrieben stützen – „Lieber den eigenen Standort sichern als kämpfen“ lautete vielfach die Losung.
Und es scheint ja zu funktionieren: Moderate Lohnerhöhungen wie bei VW und Sonderzahlungen wie bei Daimler lassen ein „Krisengefühl“ erstmal nicht aufkommen.

Das eher kümmerliche Klassenbewusstsein in Deutschland (auch viele KollegInnen echauffierten sich über die faulen, ouzo-trinkenden Griechen, denen „wir“ jetzt unter die Arme greifen müssen“) korrespondiert mit einem offenkundigen Desinteresse „bürgerbewegter Proteste“ an der „sozialen Frage“. Hunderttausende auf der Strasse gegen ‚Stuttgart 21’ und Castor-Transporte, traurige 2000 Leute bei der Bundestags-“belagerung“ anlässlich der Verabschiedung des Sparpakets.

Und dennoch ist diese „deutsche Stabilität“ verdammt brüchig – sowohl was die Widerstandspotentiale als auch die ökonomischen Perspektiven angeht. In den letzten 3 Jahren stand der Kapitalismus nicht nur einer der größten sozialen und ökonomischen Krisen seiner Geschichte gegenüber. Die tiefgreifende Legitimationskrise lässt sich nicht mehr so leicht einfangen.

5 € Hartz IV-Erhöhung („es ist kein Geld da“), aber Milliarden für die Bankster innerhalb von Tagen – das vergessen auch die vergesslichsten Malocher nicht so schnell.

Selbst in Deutschland stimmen in Meinungsumfragen deutliche Mehrheiten der Aussage zu „Der Sozialismus ist eine gute Idee, die nur schlecht umgesetzt wurde.“

Den Stand des Klassenbewusstseins bringt Kollege Riexinger sehr schön auf den Punkt: „Die Leute sagen, so wie die Franzosen müssten wir’s machen“ – was zweierlei zum Ausdruck bringt: Wir haben die Schnauze voll, aber es wäre schon schön, wenn andere für uns kämpfen.

Die ökonomischen Perspektiven des Kapitalismus (auch des deutschen) zeigen alles andere als Brüderles „Aufschwung XXL“. Die Krise wird unvermeidlich von den Rändern Europas in die Zentren zurückschwappen. Allein in den USA liegen 2 Billionen $ auf den Konten der Konzerne, zusätzlich horten die Reichen weitere 10 Billionen $. Die Banken profitieren von der Krise, die sie mitverursacht haben. Fast zum Nulltarif Geld bei den Zentralbanken leihen, damit Anleihen der „PIGS“- Staaten erwerben und sie für 7 oder 10 % weiterreichen.

Die nächsten Spekulationsblasen sind also vorprogrammiert.

Griechenland und Irland waren „Peanuts“, gehen Länder wie Spanien oder Italien bankrott, wird es eng für das „Krisenmanagement“. Die immer wieder angeführte Weltkonjuktur-Lokomotive China sitzt auf Billionen wertloser Dollars und Schrott-US-Staatsanleihen. Sicher bietet der riesige chinesische Binnenmarkt eine der letzten Expansionsmöglichkeiten des Weltkapitalismus, aber noch ist das Pro-Kopf-Einkommen in China nicht höher als in El Salvador.

Conclusio: Wohlwissend, dass Generationen von RevolutionärInnen in ungezählten Dokumenten die finale Krise des Kapitalismus herbei geschrieben haben, halten wir folgendes fest:

Wir treten ein in eine Phase von Revolution und Konterrevolution.

Dass aber der Kapitalismus nicht von allein zusammenbricht, hat sich mittlerweile rumgesprochen.

Also lasst uns einfach mal anfangen – im vollen Bewusstsein der Bescheidenheit dieses Anfangs.

Eine revolutionäre Organisation ist kein voluntaristischer Akt, kann nicht einfach proklamiert werden, sondern wird Resultat verallgemeinerter Kämpfe und Mobilisierungen sein – Aber: Auch die größte Reise beginnt mit dem ersten Schritt.

Das Reisegepäck

Womit wir bei den Reisevorbereitungen wären. Bei dem Thema stößt Mensch unweigerlich auf den linken Klassiker:
Klarheit vor Einheit oder Einheit vor Klarheit? Natürlich gibt’s da keine axiomatische Formel, sondern „nur“ die bisherigen Erfahrungen. Vielleicht ist es ganz hilfreich, uns zunächstmal darüber zu verständigen, wofür wir denn Einheit herstellen wollen.

Die klassische Aktionseinheit geht am einfachsten. Jede(r) der / die gegen ‚Stuttgart 21’ ist, kann mitmachen (außer Nazis und Scientologen). Niemand braucht mehr als eine Plastiktüte.

Bei (auf Dauer angelegten) Bündnissen ist schon ein Rucksack nötig. Das Bündnis „Wir zahlen nicht für eure Krise“ musste sich natürlich darüber verständigen, wie denn die Alternativen zur herrschenden Krisenbearbeitung aussehen sollen, auch wenn nicht in allen Fragen Konsens herzustellen war („Casino schließen“ oder „Kapitalismus abschaffen“).

Bei lokalen / regionalen Wahlbündnissen kommen wir nicht mehr ohne Reisekoffer aus. Die Berliner WASG etwa konnte sich bei ihrem Wahlantritt 2006 nicht darauf beschränken, gegen die Sparpolitik des rot / roten Senats zu sein, sondern musste zu strategischen Fragen wie Haushaltskonsolidierung oder Verhältnis zur LINKEN Stellung zu beziehen – ohne allerdings Einigkeit in „letzten“ Frage erzielen zu können und zu wollen („Anti-Neoliberale“ und „Anti-Kapitalisten“ blieb nichts anderes als zusammenzuarbeiten).

Geht’s um Organisationen / Parteien, kommt schließlich die komplette Expeditionsausrüstung zum Einsatz.

Während „niederschwellige“ Bündnisse Einigkeit über „kleine“ Fragen brauchen und „große“ Fragen ausklammern können / müssen, ist es hier umgekehrt: Es braucht keine „Linie“ zu jeder kommunalen Detailfrage, aber sehr wohl programmatische und strategische „Leitplanken“. Die „Partei“ gibt im Zweifels- oder Idealfall (je nach Gusto) zu allem ihren Senf dazu: Von „Kronstadt“ bis zur „Präimplantationsdiagnostik“.

Revolutionäre Einheit: Leberwurst mit Himbeermarmelade?

Wir haben uns also ganz schön was vorgenommen und sollten uns deshalb erinnern, was bislang (schief)gelaufen ist.

Es ist ja nicht so, dass es keine ernsthaften Versuche gab (wir beschränken uns mal auf die Zeit nach 1945).
Von der „titoistischen“ UAP in den 1950er Jahren über die „Demokratischen Sozialisten“ in den 1980ern oder die FELS-Initiative 1993 / 94 bis zur IL im neuen Jahrtausend wurde immer wieder gebastelt am historischen Projekt einer Massenorganisation „jenseits von Sozialdemokratie und Stalinismus“.

Einer der kühnsten Anläufe war Mitte der 1980er Jahre die Fusion der trotzkistischen GIM (Gruppe Internationaler Marxisten) mit der maoistischen KPD/ML („Unter Führung von Ernst Aust wird der Staat hinweggebraust“) zur VSP (Vereinigte Sozialistische Partei). Das war (auch für viele damals Beteiligte) in der Tat der Versuch, Leberwurst und Himbeermarmelade zusammenzubringen.

Es geht nun nicht darum, post festum zu schlaumeiern, ob das Scheitern dieses u. a. Versuche, einen „revolutionäre Attraktionspol“ zu schaffen, an den letztlich ungelösten inneren Widersprüchen oder den widrigen objektiven Gegebenheiten lag – im Gegenteil: Auch wir plädieren beim Organisationsaufbau für „Nahrungsvielfalt“!

Die GenossInnen der ‚Arbeitsgruppe Marxismus’ (AGM, heute RSO) haben das schon 2004 ganz nett formuliert:

„Mit allen uns bekannten internationalen Strömungen haben wir doch so relevante Differenzen, dass wir uns nicht auf einer seriösen politischen Grundlage anschließen könnten. Wir haben aber auch nicht den ebenso größenwahnsinnigen wie lächerlichen Anspruch mancher Gruppierungen, dass alle anderen Revisionist/inn/en, Zentrist/inn/en oder ähnliches seien. Wir sehen uns vielmehr als Teil des Spektrums subjektiver Revolutionär/inn/en (Hervorhebung durch die Autoren), die nach bestem Wissen und Gewissen versuchen, eine revolutionäre Organisation zum Sturz der kapitalistischen Klassenherrschaft aufzubauen („10 Jahre AGM“, August 2004)

Wir sind fest überzeugt (sonst würden wir uns nicht in das neue Projekt einbringen wollen), dass die Zeit trotz aller Schwierigkeiten reif ist für ein organisatorisches Angebot an dieses „Spektrum der subjektiven RevolutionärInnen“ oder (um’s mal ohne Marxismus-Kauderwelsch mit Heinrich Böll zu sagen) für „jenes höhere Wesen, dass wir verehren“.

Aus zwei Gründen ist es u. E. heute leichter als früher für ein solches Projekt und aus einem Grund schwieriger.

Die Resultate eines Vierteljahrhunderts neoliberaler Hegemonie haben erstens der alten Losung „Sozialismus oder Barbarei“ wieder die Herzen und Köpfe geöffnet. Von Tunis bis Dublin bricht sich die Erkenntnis Bahn, dass „wenn es zum Kapitalismus keine Alternative gibt, wir in sehr großen Schwierigkeiten (stecken)“ (Ellen Meiksins Woods).

Zweitens hat sich in den letzten 25 Jahren auch beim „subjektiven Faktor“ was getan. Während in den 1970er Jahren die im Wochentakt erfolgten Parteigründungen sich gegenseitig in die „Fischmehlfabrik“ expedieren wollten, kooperieren heute etwa in den Anti-Krisen-Bündnissen der Attac‘ler mit dem DKP’ler oder der junge Autonome mit dem Verdi-Funktionär.

Leider hat aber drittens die neue Diskussionsfreude und Offenheit auch ihre Schattenseiten. Viele GenossInnen haben für unseren Geschmack zu lange in Sozialforen gesessen, Teile auch der radikalen Linken sind saft-, kraft- und mutlos geworden. Auf endlosen Marxismus / Sozialismus / Kommunismus – Konferenzen wird mit jedem über alles debattiert, das Resultat ist immer dasselbe: Schön, dass wir mal drüber geredet haben.

Wir hätten’s jetzt gern mal etwas handfester, soll heißen „Raus aus dem Zirkelwesen“ und „Kein Friede mit dem Kapitalismus“. Dazu gehört Offenheit und Dialog / Kompromissbereitschaft, aber eben auch der Mut, die eigenen revolutionären Positionen wieder mit ein wenig mehr Selbstbewusstsein zu vertreten. Auch wenn „Burgfriedenspolitik“ heute viel schickere Namen hat – Karl Liebknechts Abrechnung in den ‚Spartakusbriefen’ von 1916 mit der völlig verrotteten Sozialdemokratie ist (eben auch) aktueller denn je: „ Nicht Einheit, sondern Klarheit über alles. Keine milde Duldsamkeit (…), sondern ätzende Kritik bis in die letzte Faser, peinliche Abrechnung auf Heller und Pfennig“.

Schmerzgrenzen

Dass es ohne Kompromisse nicht geht, versteht sich ja von selbst. Aber damit die Mahlzeit trotz „Nahrungsvielfalt“ nicht ungenießbar wird, müssen alle Beteiligten auch ihre „Schmerzgrenzen“ definieren und artikulieren.

Für uns gibt es nur 5 unverhandelbare Punkte:

1. Konzept des revolutionären Bruchs
2. Keine Mitverwaltung der kapitalistischen Krise
3. Klassenorientierung
4. Einheitsfront-Methode
5. (Eine gewisse) organisatorische Verbindlichkeit

Über alles andere müssen wir reden. Vor allem und zuerst über das Verhältnis des neuen Projekts zur LINKEN. Diese Frage – gibt es einen Platz links der LINKEN und wenn ja, wie füllen wir ihn aus – ist eine Frage des politischen Überlebens oder genauer: Hier entscheidet sich, ob das neue Projekt eine Totgeburt wird oder nicht. Denn wenn wir nicht oder nicht gut genug erklären können, warum AntikapitalistInnen bei uns und nicht bei der LINKEN mitmachen sollen, können wir gleich wieder einpacken.

Neue linke Formationen in Europa

Der Untergang der Sowjeunion und der Ostblockstaaten nach 1989 haben zu einer Implosion stalinistisch-“eurokommunistischer“ Massenparteien in Europa geführt (Italien, Frankreich).
Ausnahmen bilden die nach wie vor großen und einflussreichen griechischen, portugiesischen und tschechischen KP-en, die sich allerdings durch Sektierertum/Dogmatismus der haarsträubendsten Art kennzeichnen.
Die parallel verlaufende „Neoliberalisierung“ der europäischen Sozialdemokratie hat auf dem (links)reformistischen Feld ein Vakuum entstehen lassen, daß die „Neuen Linken Formationen“ zu füllen beginnen.
Obwohl diese Ausgangslage der „Geburtshelfer“ aller dieser Formationen war, ist die politische Ausprägung von Land zu Land sehr verschieden.
Auf dem rechten Flügel (links)reformistische Parteien wie die deutsche LINKE oder die holländische SP, auf dem linken Flügel revolutionäre Organisationen wie die französische NPA.

Wir wollen die aus unserer Sicht wichtigsten Ansätze beleuchten:

I. Italien
Fangen wir mit einer Niederlage an: Italien. 1990/91 bildete sich aus einer Spaltung der ehemals Kommunistischen Partei und verschiedener außerparlamentarischer Organisationen der radikalen Linken die Rifundatione Communista (RC). Startete die neue Formation mit circa 100.000 Mitgliedern, so wuchs sie im Zuge der globalisierungskritischen Bewegung auf 130.000 Mitglieder an. Mit der Verbindung von alter Arbeiterbewegung und neuen sozialen Bewegungen gelang es RC sehr schnell, zum Vorzeigeprojekt der radikalen Linken in ganz Europa zu werden. Von Anfang an fehlte allerdings Klarheit über die Frage der Regierungsbeteiligung. RC war später an zwei Mitte-Links-Regierungen beteiligt, die in einem völligen Desaster für RC und die gesamte italienische Arbeiterbewegung endeten. Das Problem dieser Regierungsbeteiligungen bestand nicht nur darin, dass sie die Politik der vorherigen Rechts-Regierungen unverändert fortsetzte, d.h. Sozialabbau, Fortsetzung des Afghanistan-Einsatzes und ähnliche Dinge, sondern dass sie sich auch außerstande fühlte, der Macht von Berlusconis Medienimperium irgendetwas entgegen zu setzen. Es hätte durchaus die Möglichkeit bestanden, während dieser Zeit Berlusconis Imperium per Gesetz einzuschränken und ihn für seine Verbrechen vor Gericht stellen zu lassen. All dies versäumte die Mitte-Links-Regierung und es kam, wie es kommen musste: Berlusconi gewann 2007 die Wahlen. RC ist heute ein Schatten ihrer selbst: 100.000 Mitglieder verloren, parlamentarische Präsenz gegen Null, in der Arbeiterklasse keine Position mehr. Die RC ist de facto am Ende.
Es gibt jetzt einen neuen Versuch der Umgruppierung linker Kräfte in Italien: Die Metallarbeitergewerkschaft FIOM ist zum gemeinsamen Bezugspunkt der außerparlamentarischen Linken geworden.

II. Frankreich
In Frankreich gibt es eine traditionell starke radikale Linke, die sowohl in Gewerkschaften als auch in Betrieben verankert ist. In Frankreich gibt es nun zwei neue politische Formationen, die beide für sich in Anspruch nehmen, zur Neu-Orientierung der Arbeiterbewegung beizutragen, die NPA und die Parti de Gauche.
Die Parti de Gauche ist ähnlich wie die Linkspartei in Deutschland aus dem linken Flügel der sozialistischen Partei entstanden. Auch die Parti de Gauche will eine breite anti-neoliberale Partei aufbauen, die in der Lage ist, das Kräfteverhältnis in Frankreich zu verschieben. Die größte Unklarheit besteht bei der Parti de Gauche darin, dass sie ein völlig ungeklärtes Verhältnis zur Regierungsbeteiligung unter kapitalistischen Vorzeichen hat, und auch nicht bereit zu sein scheint, dieses zu klären. Nach einer möglichen Abwahl Sarkozys 2012 könnte die Partei an einer von den Sozialisten geführten Regierung beteiligt werden.
Die zweite Neugründung ist die NPA, die aus einer Verbindung der alten trotzkistischen LCR und neuen unabhängigen Kräften entstanden ist. Die NPA versteht sich deutlich als antikapitalistische Partei. Anders als die Parti de Gauche spricht sich die NPA klar gegen eine Regierungsbeteiligung unter kapitalistischen Vorzeichen aus. Allerdings ist das Verhältnis der NPA zur Parti de Gauche innerhalb der NPA umstritten, ein Flügel pocht auf die enge Zusammenarbeit. Dieser Umstand und die sogenannte „Kopftuch-Frage“ und die mittelmäßigen Wahlergebnisse haben in der NPA zu Diskussionen geführt, deren Ende noch nicht in Sicht ist. Auf die Kopftuchfrage werden wir an anderer Stelle näher eingehen.

III. Griechenland
Die griechische radikale Linke ist traditionell stark zersplittert, numerisch und gesellschaftlich aber nicht ohne Bedeutung. Griechenland ist eines der ersten Beispiele für eine Differenzierung/Umgruppierung in den neuen linken Formationen Europas.
Innerhalb von SYRIZA/SYNASPISMOS wird aktuell eine heftige Debatte geführt zwischen den – verkürzt gesagt – beiden Polen „Regierungsbildung mit PASOK“ oder „Klassenunabhängigkeit/Klassenkampf“.
Im Zuge der griechischen Krise hat sich jetzt eine neue interessante Formation gebildet, nämlich Antarsya. Antarsya ist keine Partei, sondern eine Front aus zehn verschiedenen Organisationen. Es gibt innerhalb Antarsyas eine sehr heftige Diskussion darüber, ob Antarsya eine neue Partei werden oder eine Front bleiben soll. Die Frage wird in den nächsten Monaten entschieden werden. Jedenfalls versucht Antarsya neue Lösungen zu finden für die Überwindung der traditionellen Spaltung zwischen sozialdemokratischer und kommunistischer Arbeiterbewegung. Die Stärkung von Basiskomitees, die Organisation zivilen Ungehorsams, aber auch die Beteiligung an Wahlen sind Referenzpunkte des neuen Projektes.
Allgemein müssen wir aber konstatieren, dass keineswegs sicher ist, dass Antarsya zu einem erfolgreichen Projekt der radikalen Linken wird. Die Chancen stehen fünfzig zu fünfzig.

IV. Irland
Irland, das lange als das Wirtschaftswunderland Europas galt, erscheint selten im Blickfeld der europäischen Linken. Durch die Finanzkrise wurde Irland in besonderer Weise getroffen. Die Hilfspakete von IWF und EU waren mit der Auflage verbunden, massive Renten- und Lohnkürzungen durchzuführen. Die Belastungen, die Irland im Moment zu tragen hat, sind so groß, dass das Land am Abgrund taumelt. „Entweder kämpfen oder auswandern!“ – dieser Spruch macht im Moment unter irischen Jugendlichen die Runde.
Die Verwerfungen, die mit den Auflagen von IWF und EU verbunden sind, führten zu einer Regierungskrise und zur Auflösung des Parlaments. Am 25. Februar wurde ein neues Parlament gewählt und die regierende Fianna Fail (Grüne-) Regierung wurde aus dem Amt gejagt. Das erste Mal seit mehreren Jahrzehnten konnte sich die radikale Linke auf eine gemeinsame Plattform einigen und fünf Sitze im neuen Parlament erobern. Das irische Wahlrecht ist sehr kompliziert, aber jede Person, die einen Sitz im Parlament haben will, muss im jeweiligen Wahlkreis mindestens zwischen zehn und zwanzig Prozent erhalten. Die United Left Alliance (ULA) besteht aus unterschiedlichen Komponenten, unter anderem der sozialistischen Partei, der irischen SAV-Schwester, und Peoples before Profit, dem irischen Marx 21-Pendant, sowie einer Reihe von unabhängigen Organisationen. Organisationen, die in Deutschland noch nicht mal miteinander reden, sich in Irland aber zu einer neuen Front zusammengeschlossen haben. Alle gewählten Kandidatinnen und Kandidaten sind in langen, außerparlamentarischen Kämpfen profiliert und genießen hohes Ansehen unter den arbeitenden Menschen. Die ULA wird jetzt diskutieren, ob sie eine neue gemeinsame Partei bildet.

Zusammenfassend würden wir sagen, eine neue Organisation der radikalen Linken in Deutschland sollte sehr genau vier europäische Ansätze beobachten: Die französische NPA, den italienischen „Verein der Freunde der FIOM“, die irische ULA, und (mit Einschränkungen) das griechische Projekt ANTARSYA.

Die LINKE in Deutschland

„Die LINKE“ ist für Deutschland ein neues Phänomen. Zum ersten Mal nach dem zweiten Weltkrieg gibt es eine wahlpolitisch relevante Partei links von der Sozialdemokratie in der Bundesrepublik, von der Episode der Grünen in den 80ern abgesehen.

Wir wollen die „Linke“ weder verteufeln, noch hochleben lassen. Die schiere Existenz einer reformistischen Massenpartei ist für deutsche Verhältnisse ein Fortschritt. Sie ist zwar meist nur wahrnehmbar in Wahlkämpfen und Talkshows, aber schon dies allein zwingt andere Parteien dazu, über Themen wie Mindestlohn und Hartz IV zu reden und sich zu rechtfertigen. Hinzu kommt, dass durch die Orientierung von Teilen der Gewerkschaftsbewegung auf die „LINKE“ der monopolartige Zugriff der SPD auf die Gewerkschaften beendet wurde.

Die innerparteilichen Konflikte in der Linkspartei brechen zurzeit verstärkt auf, die organisierten Strömungen vom FdS (Forum demokratischer Sozialismus) über die SL (Sozialistische Linke) bis zur AKL (Antikapitalistische Linke) bündeln allerdings zusammen nur einen kleineren Teil der Mitgliedschaft. Keine von ihnen ist auf Bundesparteitagen mehrheitsfähig. Die Mehrheit der Mitglieder nimmt am Parteileben nicht teil.

Die Politik der Partei in Ost und West unterscheidet sich erheblich. Man könnte meinen, es handele sich um zwei verschiedene Parteien. Während im Westen meist das klassisch linkssozialdemokratisch bis sozialistische Forderungskatalog vertreten wird, sind die Ostverbände im Kapitalismus „angekommen“. Sie wollen in die Regierung, beinahe um jeden Preis. Mindestbedingungen für Regierungsbeteiligungen werden erst gar nicht diskutiert. Und Gnade Gott, Sie kommen in eine Regierung!

Es gibt kaum Prinzipien, die hier nicht über Bord geworfen wurden. Privatisierung, Stellenabbau, Bildungskürzung, Tarifbruch, usw. usf. Es gibt kaum etwas auf der neoliberalen Agenda, was nicht die eine oder andere Regierung unter Beteiligung der Linken exerziert hat.

Der Programmentwurf der Linken hat zwar eine deutlich kritische Tendenz zu diesen Regierungsbeteiligungen und ist deutlich links von der alten Programmatik der PDS angesiedelt. Aber wir sind altmodisch genug, uns zu erinnern, dass ein Schritt wirklicher Bewegung bedeutender ist als zehn Programme, und die Bewegung in der Linken kommt meist vom rechten Flügel.

Es ist unseres Erachtens nicht vorhersehbar, wie die Linke sich entwickelt. Unsere Erfahrung zeigt uns aber, dass eine Partei, in der die Basis schwach engagiert ist, meist durch die Apparate und die Fraktionen beherrscht wird, welche die grundlegende Tendenz zur Anpassung an die Notwendigkeiten von „Realpolitik“ haben.

Konkurrenz belebt das Geschäft

Auch wenn es nervt, wir sagen es noch mal, eine unsektiererische Politik gegenüber der LINKEN wird die erste und größte Herausforderung für das neue Projekt, so es denn tatsächlich an den Start geht.

Natürlich treten wir in Konkurrenz zur LINKEN (sonst bräuchten wir ja gar nicht loslegen), aber nach unserer festen Überzeugung muss das neue Projekt glaubhaft rüberbringen, dass es sich um eine sozusagen „solidarische Konkurrenz“ handelt.

Die LINKE-Führung und erst recht ihre Mitglieder, Wähler, Sympathisanten sind nicht der Klassenfeind und auch nicht die Agenten des Klassenfeindes o. ä. Wir teilen die Skepsis der AVANTIS vor Leuten, die „den Trennungsstrich zum Gegner vor den eigenen Füßen ziehen“ (S. 7). Salopp formuliert: Konkurrenz belebt das Geschäft. Die LINKE ist ein Angebot für „Kapitalismus-Zähmer“, wir sind ein Angebot für „Kapitalismus-Abschaffer“.

Es gilt aus gemachten Fehlern zu lernen.

So ist die WASG-Berlin 2006 nicht an der 5 %-Hürde gescheitert, weil sie von so wenig Wilmersdorfer Witwen und Charlottenburger Kleingewerbetreibenden gewählt wurde.
Dieses Milieu wählt keine Linken, auch wenn sie sich noch sehr „anti-neoliberal“ kostümieren.
Entscheidend war, dass von den 180.000 Stimmen, die die Berliner Linke im Vergleich zum PDS-Ergebnis 2001 verloren hat, nur 16.000 (also weniger als 10 %) bei der WASG gelandet sind.
Es ist der WASG also nicht gelungen, sich als ernsthafte und glaubwürdige linke Alternative zur LINKEN in Berlin zu präsentieren und gleichzeitig deutlich zu machen:

Wir wollen die bundesweite LINKE.

Etwas überspitzt formuliert: Es kommt nicht so sehr darauf an: Was ist die LINKE? Auch nicht : Wie finden wir die LINKE? Sondern: Wie ist der Blick der ArbeiterInnenklasse auf diese Partei, welche Hoffnungen und Erwartungen werden in sie gesetzt?

Viele Linke in der LINKEN (von Marx 21/SL über AKL/ISL bis zur SAV) werden uns vorhalten, dass es sich bei unserem Projekt insofern um ein voluntaristisches handelt, als die Zeit für so was noch nicht reif sei. Da ist was dran. Niemand, der für 5 Pfennig politischen Verstand hat, zweifelt daran, dass z.B. Petra Pau und Lucy Redler nicht für ewig in einer Partei bleiben werden. Aber diese unvermeintlichen Differenzierungen und Um- / Neugruppierungen stehen in der LINKEN (noch) nicht auf der Tagesordnung. Das ist in der Tat der Unterschied zu vergleichbaren Formationen, die das schon hinter sich haben (PRC in Italien) oder mittendrin sind (Syriza in Griechenland).

Wir möchten den Linken in der LINKEN vier Antworten auf diese Kritik geben:

1. Das neue Projekt ist weit davon entfernt, morgen an den Start zu gehen, es befindet sich ja noch nicht mal in der „Aufbauphase“. Wenn wir nicht alles verkehrt verstanden haben, geht es 2011 v. a. um Diskussion, Klärung, Verständigung. Vor 2012 wird wohl kaum irgendwas „gegründet“ werden. Bis dahin gibt’s z.B. noch mehrere Landtagswahlen. Warten wir mal ab, was innerhalb und außerhalb der LINKEN passiert, wenn sich der erste West-Landesverband von der SPD hat über den Tisch ziehen lassen.

2. Falscher Zeitpunkt? Ja und Nein! Die Geschichte hat die unschöne Eigenschaft, sich öfter nicht an die „Geschichtsfahrpläne“ studierter MarxistInnen zu halten (galt für die russischen Menschewiki und gilt für die Super-Strategen von Marx 21). Ergeben sich realistische Möglichkeiten revolutionärer Organisierung, muss Mensch auch mal zugreifen, denn solche „Zeitfenster“ bleiben nicht ewig offen. Allen, die an einer Organisation der radikalen Linken in Deutschland ernsthaft interessiert sind, jetzt zu sagen, „Ihr müsst leider noch warten, bis sich die LINKE auch im Westen so richtig blamiert hat“, würde die vorhandenen Möglichkeiten zerstören.

3. Wie genau und sensibel wir die Entwicklung der LINKEN beobachten, haben wir wohl hinreichend deutlich gemacht, aber wir sollten auch aufpassen, nicht in die Rolle des Kaninchens vor der Schlange zu verfallen. Es gibt auch ein politisches Leben links der LINKEN! Das ist in Städten wie Berlin oder Hamburg natürlich größer und bunter als im Bayrischen Wald. Und natürlich gibt es links der LINKEN auch viele Sektierer und „Gläubige“, aber eben auch Zehntausende „Normalos“, die grundsätzlich „durch“ sind mit dem Kapitalismus und sich trotzdem (oder deswegen!) von der hauptsächlich parlamentarischen Geschäftigkeit der LINKEN nicht wirklich angezogen fühlen. Diesem Spektrum sollten wir ein attraktives Angebot machen.

4. Schließlich zeigt die „italienische Erfahrung“, dass es – jedenfalls für die, die revolutionäre Alternativen zum Kapitalismus für nötig und möglich halten – unbedingt angesagt ist, sich auf die absehbaren Brüche in den „neuen linken Formationen“ nicht nur programmatisch-strategisch, sondern auch praktisch-organisatorisch vorzubereiten, um eben nicht wie die italienische Linke nach dem der Zusammenbruch der PRC vor einem Scherbenhaufen zu stehen.

Kein Friede mit dem Kapitalismus

Ein weiterer linker Debatten-Klassiker ist natürlich die uralte Frage „Reform oder Revolution?“

Weil nach den Sozialräubereien der Agenda 2010 die Aussicht auf weitere „Reformen“ bei den unteren Ständen eher Panik als Hoffnung auslöst, wird der Begriff auch von (links)reformistischen Kreisen nur noch ungern benutzt.
Der gebildete Reformist spricht heute lieber von „Transformation“ oder neuerdings auch von „Reformation“.

Wenn wir an der Idee des revolutionären Bruchs mit dem Kapitalismus festhalten, dann nicht, weil wir Anhänger des möglichst radikalen Wortgeklingels sind oder in unserer Freizeit „den Sturm auf’s Winterpalais“ nachspielen.

„Wer kein Sozialticket durchsetzen kann, braucht nicht in Träumen von Kommunismus zu schwelgen.“ (AVANTI-Flugblatt „Besser Scheitern: Von der Krise zum kollektiven Handeln“, November 2010)

Aber wir wollen eben auch nicht so enden, wie manche GenossInnen der LINKEN, die die „kundenfreundliche“ Neugestaltung eines Jobcenter-Eingangs als sozialpolitische Großtat feiern. (2)

Wir werden diesen Punkt nicht ausführlicher behandeln – dass ein „neues kommunistisches Projekt“ nicht reformistisch angelegt wird, sollte Konsens sein.

Jenseits aller hehren Selbstverständnisse geht es nämlich auch um ganz profane Dinge.

Der Charakter des neuen Projekts ergibt sich fast zwangsläufig aus der Analyse der LINKEN und ihrer Defizite. Kein Mensch braucht eine dritte oder vierte reformistische Partei. Und das bedeutet bei Strafe des Untergangs / Scheiterns:
Die neue Organisation wird revolutionär sein oder sie wird gar nicht sein. Während der „alte“, klassisch-sozialdemokratische Reformismus auch jenseits der radikalen Linken immer stärker in Misskredit gerät, herrscht über „neue“, (post)moderne reformistische Konzepte ubiquitäre Verwirrung – teilweise auch in den eigenen(revolutionären) Reihen.

Dazu ein paar Stichworte:

1. Wenn der „Neoliberalismus“ keine neue Gesellschaftsform ist und auch keine Entartung / Fehlentwicklung der Marktwirtschaft, sondern – in Reaktion auf die Verwertungsprobleme seit den späten 1970er Jahren – eine neue Phase der spätkapitalistischen Entwicklung, dann ist der „Anti-Neoliberalismus“ gelinde gesagt keine große Hilfe bei der Herausbildung / Stärkung antikapitalistischer Perspektiven.

2. Ähnlich verhält es sich mir der „Anti-Globalisierungsbewegung“: „Dabei wollen und dürfen wir allerdings nicht verkennen, dass die globalisierungskritische Bewegung als solche keinen revolutionären Charakter hat. Im Gegenteil: Gerade ihr am besten organisierter und öffentlich wahrnehmbarster Teil (attac, NGO’s, einige Gewerkschaften) wird nicht zu Unrecht als internationale außerparlamentarische Sozialdemokratie bezeichnet.“ (AVANTI, S. 53) Dem haben wir nichts hinzuzufügen.

3. Das Ende des „fossilen Kapitalismus“ ist/wäre keineswegs zwangsläufig das Ende des Kapitalismus. Auch ein grüner Kapitalismus wird keine Antworten finden auf die sozialen und ökologischen Überlebensfragen der Menschheit.

4. Wir sind bekennende Anhänger der Aktionseinheit von Reformisten und Revolutionären und plädieren durchaus auch für eine über solche Aktionseinheiten hinausgehende Bündnispolitik. Aber instrumentalisieren / verscheißern sollten wir uns nicht lassen. Wenn das Konzept der „Mosaik-Linken“ so aussieht, dass die einen in der Regierung „Sachzwänge“ exekutieren und die anderen auf der Strasse dagegen protestieren und hinterher setzen wir uns zusammen und reden mal drüber – dann sollten wir uns von derartigen Veranstaltungen lieber fernhalten.

5. Unseren entschlossenen Widerstand verdienen und verlangen schließlich die neuen „bewegungsphilosophischen“ Versuche, „die Krise zu denken“. Der Postmodernismus läuft im Kern darauf hinaus, dass sich innerhalb der LINKEN postmoderne Phrase und reformistischer Apparat verbünden, und gesamtgesellschaftlich wird hier eine pseudo-dissidente Legitimationsfolie für rot / rot / grüne Machtoptionen gebastelt. Ellen Meiksins Woods hat das kürzlich in einem Interview mit dem kanadischen „New Socialist“ sehr gut auf den Punkt gebracht: „Wenn Postmodernisten auf Fragmentierung und „Differenz“ beharren, meinen sie, neben anderem, auch, dass es so etwas wie ein „totalisierendes“ System des Kapitalismus nicht gibt, ein System, das seine eigene, vereinheitlichende Logik, seine eigenen Bewegungsgesetze der Gesamtheit der Gesellschaft aufzwingt. Was sind also die Implikationen einer solchen Sichtweise? Meines Erachtens, dass es kein übergreifendes Herrschaftssystem wie das der Macht des Kapitals oder das der Systemzwänge des kapitalistischen Marktes gibt, und dass es nur eine Menge unterschiedlicher und unverbundener Machtbeziehungen gibt.“ (…..) „Die Menschen mögen heute über Identitäten reden anstatt von Interessengruppen, doch der postmoderne Pluralismus verschleiert ebenso wie seine alten Spielarten die Realitäten der Macht in kapitalistischen Gesellschaften. Er entwaffnet und zersetzt auch den Widerstand gegen den Kapitalismus.“ (3)

6. Wir rufen die AntikapitalistInnen dazu auf, sich endlich mal mit dieser neuen „Denke“ zu beschäftigen, denn neu ist sie in einer Hinsicht tatsächlich: Auch wenn Eduard Bernstein und Nachfahren den Klassenkampf zunehmend auf einen „Kampf mit dem Stimmzettel“ reduzierten – die „Klasse“ war immerhin noch eine analytische und politische Kategorie.
Für Postmodernisten (wie für Teile der „Wertkritik“) gibt’s keine Klassen mehr und wenn doch, dann ohne jede gesellschaftsverändernde Bedeutung. Womit wir gleich beim nächsten Punkt wären.

Klasse, Prekariat, soziale Bewegung

„War die revolutionäre Linke zunächst ein untrennbarer Teil der ArbeiterInnenbewegung, so traten – insbesondere seit den späten 1960er Jahren – mit den sozialen Bewegungen neue politische Strukturen in den Vordergrund, die für eine beträchtlichen Teil der RevolutionärInnen zu einem wichtigen, wenn nicht gar zum hauptsächlichen oder einzigen Betätigungsfeld wurden. (…)denn eine wirksame gesellschaftliche Gegenmacht kann heute – nach unserer Überzeugung – nicht mehr allein in der ArbeiterInnenbewegung aufgebaut werden. Dabei halten wir es allerdings für ebenso sicher, dass ohne oder sogar gegen die Mehrheit der Lohnabhängigen keine Gegenmacht entstehen kann, die eine revolutionäre Veränderung der Gesellschaft auf die Tagesordnung setzen könnte.“ (AVANTI, S.49)

Wir würden das anders formulieren (für uns wäre es z.B. schon sehr wichtig, dass ein „neues kommunistisches Projekt“ sich als „untrennbarer Teil der ArbeiterInnenbewegung“ versteht). Aber auf dieser Grundlage können wir jedenfalls die Diskussion beginnen.

„Arbeiterklasse“ und „soziale Bewegungen“ als Interventionsfelder revolutionärer Politik stehen ja nicht gegeneinander.
Es geht auch nicht darum, festzulegen, wer welchen prozentualen Anteil am Widerstandspotential hat.
ArbeiterInnen sind nicht besser, schöner oder klüger als Feministinnen oder Anti-Atom-Aktivisten, aber als Mehrwertproduzenten sind sie die einzigen, die die Herrschaft des Kapitals unmittelbar und direkt in Frage stellen (können). Klassenorientierung hat nichts (oder sollte nichts) zu tun haben mit „Proletkult“. Das neue Projekt sollte u. E. Kurs halten zwischen „Workerismus“, also romantischer Verklärung des „Blaumanns“ und „Selbstreferenzialität“, also immer wieder nur sich selbst und das engere Umfeld mobilisieren, weil der Bezug auf eine vermeintlich „verbürgerlichte“ Arbeiterklasse zu mühselig / sinnlos erscheint.

Natürlich gibt es eine „traditionalistische“ reformistische Linke, die ihren Focus nach wie vor ausschließlich auf die „industriellen Kerne“ richtet (aktuelles Beispiel ist der skandalöse Umgang der IGM-Führung mit den Leiharbeitern).
Und natürlich gibt es eine „traditionalistische“ revolutionäre Linke, die sich zu sehr oder ausschließlich auf diese bezieht und deshalb dazu neigt, dieselben Fehler zu machen.

Deshalb stimmen wir hundertprozentig mit dem Ansatz überein, den Blick verstärkt auf die „marginalisierten Ränder“ zu richten (wobei schlaue Papiere nicht reichen, es müssen endlich mal Kämpfe auch in diesen Sektoren gewonnen werden, was durchaus neue Organisationsstrukturen und Aktionsformen wie „Organizing“ oder „Flashmob“ braucht).

Was wir in die reformistischen Großorganisationen tragen müssen, ist das Bewusstsein, dass es nicht nur um altruistische Solidarität mit den „überausgebeuteten“ Prekären geht, sondern auch um „egoistisches“ politisches Kalkül.
Denn Leiharbeiter z.B. führen den Stammbelegschaften tagtäglich ihre eigene Ersetzbarkeit vor Augen und die Armee von „Hartzern“ zeigt brutal deutlich, wie schnell jede(r) „ganz unten“ landen kann. Eigentlich eine uralte Erfahrung / Erkenntnis der Arbeiterbewegung – je größer die industrielle Reservearmee desto erpressbarer auch die organisiertesten Teile der Klasse und damit die Klasse insgesamt.

Vier kurze Anmerkungen zum Klassenbegriff:

1. Die Zahl der abhängig Beschäftigten nimmt nicht ab, sondern zu (4)
2. Dienstleistungs- und „Wissensarbeiter“ sind keine klassischen Produktionsarbeiter, aber eben Arbeiter (5)
3. Bisweilen geht es nicht um „Ideologeme“, sondern um schlichte Definitionen und statistische Zuordnungen (6)
4. Die „Neuzusammensetzungen“ der Arbeiterklasse führen nicht zu „nivellierten Mittelstandsgesellschaften“ – im Gegenteil. (7)

Das Thema Klassenbegriff / Klassenorientierung ist für uns zentral. Wir sehen hier erste (nicht unüberwindbare) Differenzen mit unseren (post)autonomen GenossInnen. Der Theologe und IL-Aktivist Michael Ramminger formulierte kürzlich in der ‚Jungen Welt’:

„Das eine revolutionäre Subjekt gibt es zur Zeit nicht, kann es auch nicht geben – der Industriekapitalismus des 19. Jahrhunderts ist postfordistisch geworden. Es sind ganz neue Formen von Arbeit entstanden, das Verhältnis von Produktions- und Reproduktionsarbeit hat sich verändert, die gesellschaftlichen Widersprüche sind heterogener geworden.“

Was soll das heißen? Waren die Widersprüche im „Industriekapitalismus des 19. Jahrhunderts“ homogener?
Oder „übersichtlicher“? Oder hat die Kategorie „Klasse“ keine (potentiell) gesellschaftsverändernde Relevanz mehr?
Natürlich hat der „postfordistische“ Kapitalismus „ganz neue Formen von Arbeit“ geschaffen – eben hauptsächlich prekäre.

Egal – was Genosse Ramminger da sagt, stimmt und stimmt nicht.

Die „Traditionalisten“ müssen zunächst die schlichte Tatsache zur Kenntnis nehmen, dass sich verändernde Verwertungsbedingungen natürlich auch die „Arbeitswelt“ und damit Konturen, Zusammensetzung und Kampfkraft der ArbeiterInnenklasse verändern. Die Entwicklung von Klassenbewusstsein verläuft bei Leiharbeitern und Mini-Jobbern,
„Freelancern“ und 2-Frau-„Belegschaften“ im Einzelhandel anders (schwieriger) als im Großbetrieb mit Tarifbindung.
In vielen marginalisierten Sektoren geht’s nicht um das Bewusstsein der „Klasse für sich“, sondern zunächst um die elementare (Selbst)erkenntnis der „Klasse an sich“.

Die „Bewegungslinken“ hoffen wir davon überzeugen zu können, dass eine „Neuzusammensetzung der Klasse“ nicht gleichbedeutend ist mit dem „Ende der Klasse“ als „Negationsprinzip der bürgerlichen Gesellschaft“.

Dem Genossen Ramminger würden wir ganz „restmarxistisch-altlinks“ entgegenhalten: Die LohnarbeiterInnenklasse ist nach wie vor das „eine“ revolutionäre Subjekt auch wenn sich ihr „Gesicht“ seit 1970 und erst recht seit 1917 dramatisch verändert hat.

Denn „obwohl die politische Programmatik vieler „neuer sozialer Bewegungen“ auf den ersten Blick vielleicht umfassender wirkt (globale Gerechtigkeit, Friedfertigkeit, ökologische Überlebensperspektiven, Solidarität) besitzen sie dennoch keinen solch zentralen Bezugspunkt der Auseinandersetzung, durch den die Hegemonialansprüche des Kapitals automatisch in Frage gestellt würden.“ (8)

Und deshalb bleibt für uns „Der Betrieb (…) der zentrale Ort der gesellschaftlichen Auseinandersetzungen:
In seiner Struktur materialisiert sich die gesellschaftliche Macht des Kapitals.“ (9)

Um das zu verstehen, muss Mensch nicht studiert haben: Streiks in der Automobil- oder Maschinenbauindustrie haben eine andere Wirkung als ein Flashmob bei ‚Schlecker’.

Wir ergänzen allerdings: Auch nicht direkt mehrwertproduzierenden Sektoren (in denen es gleichwohl zur Aneignung von Teilen der gesellschaftlich erzeugten Mehrwertmasse kommt) sind durchaus, teilweise sogar in höchstem Maß aktions-, konflikt- und durchsetzungsfähig: Das Krankenhaus, das Büro, die Müllabfuhr, das Kaufhaus.

Wir versuchen unsere Position noch einmal etwas flapsig zusammenzufassen: Die ArbeiterInnenklasse ist nach wie vor der „Totengräber“ des Kapitalismus – aber wir sollten gemeinsam diskutieren, ob wir nicht andere, neue „Schaufeln“ brauchen als 1917.

Exkurs 1: Triple Oppression oder Hauptwiderspruch?

Gleich vorneweg: Natürlich gibt es im Kapitalismus „Triple Oppression“. Frauenunterdrückung und Rassismus sind sehr viel älter als der Kapitalismus und werden auch nach seinem hoffentlich baldigen Ende nicht automatisch verschwinden.
Eine schwarze Arbeiterin ist ohne Zweifel „dreifach unterdrückt“ – als Arbeiterin, als Frau und als Schwarze.

Einen „traditionalistischen“ Einwand gegen diese Theorie halten wir für scholastisch: Es gäbe ja (außer den drei genannten) auch noch andere Formen der Unterdrückung und Diskriminierung im Kapitalismus (Homosexuelle, Behinderte, Alte etc.pp.). Dieser Ansatz lenke nur ab vom „Hauptwiderspruch“ Lohnarbeit – Kapital. Diesen Argumentationspfad kann Mensch natürlich immer weiter und weiter gehen, um den Triple Oppression-Ansatz ad absurdum zu führen.

Und natürlich – auch Menschen mit Segelohren werden diskriminiert.

Nur kommt trotzdem niemand auf die Idee, eine „Anti-Segelohren-Diskriminierungsbewegung“ in’s Leben zu rufen.
Der Grund liegt auf der Hand: Es kann ja vernünftigerweise nur um Unterdrückung gehen, die erstens die gesamte Gesellschaft durchzieht und die zweitens mehr oder weniger konstitutiv ist für die Herrschaft des Kapitals.
Das ist bei der Kategorie „Klasse“ der Fall, bei den Kategorien „Geschlecht“ und „Rasse“ mit Einschränkungen, bei „Segelohren“ und (u. E.) auch bei z.B. „abweichenden“ sexuellen Orientierungen nicht.

Nun sollten sich RevolutionärInnen aber nicht mit einer Zustandsbeschreibung der gesellschaftlichen Realität zufrieden geben. Alle, denen der „Elfenbeinturm“ zu klein ist, müssen derartige Kategorien auf ihre potentiell „systemsprengende“ Wirkung prüfen.

Der Kapitalismus hat sich im Verlauf seiner Geschichte als außerordentlich anpassungsfähig erwiesen. Wenn’s um’s Eingemachte geht, mutiert er auch schon mal zum „rheinischen“ Kapitalismus, demnächst wird er vielleicht „grün“, auch auf Sexismus und Rassismus kann er zur Not verzichten. Das Einzige, worauf er nicht verzichten kann, ist die Mehrwertproduktion.

Wir räumen ein, dass es einen Punkt gibt, der es lohnt, genauer diskutiert zu werden, nämlich die Frage, ob die (überwiegend) weibliche Reproduktionsarbeit / „Herstellung“ der Ware Arbeitskraft für den Kapitalismus überlebensnotwendig ist (dann wären wir sozusagen bei „Dual Oppression“) oder nicht.

Wir kommen im „Exkurs 2“ noch drauf zu sprechen.

Die AVANTIS machen es sich bei dieser Frage für unseren Geschmack etwas zu einfach: „Unter dem patriarchalischen Prinzip verstehen wir z.B. die höhere Bewertung von Konkurrenz gegenüber Solidarität, von Rationalität gegenüber Emotionalität, von Produktions- gegenüber Reproduktionsarbeit.“ (S. 34)

„Konkurrenz statt Solidarität“ – könnte das vielleicht doch auch was mit dem „Hauptwiderspruch“ zu tun haben?
Wer alle Übel des Kapitalismus dem „patriarchalischen Prinzip“ zuordnet, gelangt natürlich zu entsprechenden Schlüssen.

Wenn wir sagen, auch eine noch so erfolgreiche Bearbeitung der Kategorien „Geschlecht“ und „Rasse“ führt alleine nicht zum Sturz des Kapitalismus, dann heißt das nicht, den Kampf gegen Sexismus, Rassismus, Frauenunterdrückung auf den Sankt-Nimmerleins-Tag („nach der Revolution“) zu verschieben. Und das gilt nicht nur für Aktionen und Kampagnen, also die „Außenaktivitäten“, sondern auch und gerade für das „Innenleben“ eines „Neuen kommunistischen Projekts“ (s. a. Kapitel „Kartoffelsalat“). Auch wenn dieses Papier ausschließlich von Männern verfasst wurde, sind wir durchaus dafür, auch „anti-patriarchalisch“ Gas zu geben (ohne uns bei den Feministinnen anbiedern zu wollen) – ganz im Sinne des legendären „Schwanz-Flugblattes“ des Frankfurter Weiberrates, das auf der Delegiertenkonferenz des SDS 1968 in Hannover (zum Entsetzen der Genossen) verteilt wurde:

„Darin wandten sich die Frankfurter SDS-Frauen gegen sexuelle Unterdrückung durch „revolutionäres Gefummel, sozialistischen Bumszwang“, gegen Bevormundung durch „sozialistische Lebenshilfen“ und „väterliche Betulichkeit“, gegen geschlechtsspezifische Arbeitsverteilungen, die den Frauen nicht nur die Hausarbeit und die Kindererziehung, sondern auch in der politischen Arbeit das Malen von Wandzeitungen und das Tippen und Verteilen von Flugblättern überließ. Der Flugblatttext endete mit dem Satz: „Befreit die sozialistischen Eminenzen von ihren bürgerlichen Schwänzen!“ (10)

Exkurs 2: Die Hausarbeitsdebatte – Lohn oder Vergesellschaftung?

„Durch die Trennung von Reproduktions- und Produktionsarbeit wird unsichtbar gemacht, wie diese in Wirklichkeit zusammenhängen:
Mit der Reproduktionsarbeit wird die „Ware Arbeitskraft“ (die der Lohnarbeiter verkauft) erst hergestellt.
Daher befindet sie sich eigentlich auch im Kreislauf der Mehrwertproduktion.
Doch diese Form der Arbeit ist gesellschaftlich „unsichtbar“ (manchmal auch für marxistische Theoretiker), sie erscheint lediglich als „Liebesdienst“ in Form von Fürsorge, Zuwendung, Mutterschaft und Ehe.“ (S. 32 / 33)

Das klingt schlüssig u.v.a. ziemlich marxistisch, denn auch für die Ware Arbeitskraft müssen natürlich dieselben Maßstäbe / Kategorien gelten wie für alle anderen Waren.

Die AVANTIS neigen ganz offensichtlich zur Position von Maria Rosa dalla Costa, deren Aufsatz „Die Frau und der gesellschaftliche Umsturz“ 1972 den Beginn der so genannten „Hausarbeitsdebatte“ markierte.

Darauf abzielend, die Frauenunterdrückung nicht moralisch, sondern materialistisch zu erklären, setzte sie bei der Marx’schen Wertlehre an: Der Wert einer Ware bemisst sich nicht an ihrem Preis, sondern an der darin vergegenständlichten Arbeit (genauer: der durchschnittlich gesellschaftlich notwendigen Arbeitszeit). Die (Re)produktion der Ware Arbeitskraft ist produktiv, weil sie – wenn auch „hinter dem Rücken der industriellen Produktion“ – Mehrwert schafft und also dem Wertgesetz unterliegt. Als wesentlicher Bestandteil der kapitalistischen Produktionsweise und aufgrund ihrer abhängigen Beziehung zum kapitalistischen System muss sie auch entlohnt werden.

Das kann Mensch – aus einem ebenfalls marxistisch-feministischen Blickwinkel (die Differenz geht nicht darum, dass unser Kampf antikapitalistisch und anti-patriarchalisch geführt werden muss) – aber auch anders sehen (11): Die Argumentationskette „Hausfrauen sind Produzenten (der Ware Arbeitskraft) und also Teil der Lohnabhängigenklasse“ greift zu kurz. Der Marx’sche Begriff des Lohnarbeiters ist ein anderer (was für sich genommen natürlich gar nichts heißt, vielleicht hat sich der alte Schürzenjäger einfach geirrt): Nicht die Herstellung eines Produkts ist das entscheidende Kriterium (sonst wäre auch der Bauer Proletarier), sondern die Stellung im Produktionsprozess, also der gesellschaftlichen Produktion. Hausarbeit findet aber statt im privaten Rahmen, getrennt von der Sphäre der gesellschaftlichen Produktion (das Kapital kann gerade wegen seiner Abwesenheit im Haus schlecht bekämpft werden).
Es existiert auch kein indirektes Lohnarbeitsverhältnis der Hausfrau: Hausarbeit „erscheint“ nicht als private Dienstleistung, sie ist es! Hausarbeit ist als Gebrauchswertproduktion nicht über den Markt vermittelt: Der Arbeiter kauft nicht die Arbeitskraft der Hausfrau, er verfügt über sie qua Ehevertrag.

Des weiteren sitzt dalla Costa dem „Geldfetisch“ auf: Ihr zufolge fehlt es den Hausfrauen nicht deshalb an gesellschaftlicher Macht, weil sie auf Gebrauchtwertproduktion beschränkt sind, sondern weil sie nicht bezahlt werden.
Geld ist im Kapitalismus aber nicht „an sich“ Macht, sondern erst durch seine Verwandlung in Kapital. Das Proletariat ist nicht deshalb (potentiell) mächtig, weil seine Arbeitskraft bezahlt wird, sondern weil es als „Schöpfer aller Werte“ die zentrale Stellung im Produktionsprozess innehat.

Es gibt zur Hausarbeitsfrage aber noch weitere marxistisch-feministische oder feministisch-marxistische Positionen, etwa Christine Delphy „Der Hauptfeind“ (1970). Ihr zufolge ist Hausarbeit zwar unproduktiv, stellt aber eine eigene, vom kapitalistischen System unabhängige Produktionsweise dar:

„Die Tatsache, dass Hausfrauen keinen Mehrwert produzieren, bedeutet nicht, dass sie von der Ökonomie im Ganzen ausgeschlossen sind. Sie besagt nur, dass sie ihre Arbeitskraft nicht ohne Umstände auf den Arbeitsmarkt bringen und verkaufen können. Insofern sind sie nicht frei im Sinne des Lohnarbeitsverhältnisses, da sie ja nicht einmal ihre eigene Arbeitskraft besitzen. Die Familie als Ort patriarchalischer Ausbeutung ist unabhängig vom kapitalistischen System; sie ist eine eigene Produktionsweise, die lediglich Beziehungen zum Kapital unterhält. Schlussfolgerung: Alle Frauen (als eine Art eigene Klasse) sind gegen alle Männer zu mobilisieren.“ (12)

Oder Wally Seccombe, für den die Ware Arbeitskraft nicht als Ware produziert, sondern als Ware verkauft wird:

„Der Doppelcharakter der Arbeitskraft bewirkt, dass sie eine vermittelnde Rolle zwischen der Hausfrau und dem Kapital spielen kann. In ihrer relativen Wertform ist sie gekoppelt an die Hausarbeit und in ihrer Äquivalentform an das Kapital.“ (13)

Wir brechen hier mal ab, bevor wir – schon mitten drin in der Wertformdebatte – zu „seminaristisch“ werden. Die Auseinandersetzung ist aber keineswegs so akademisch wie sie scheint. „Feministinnen betrachten die Debatte um die Care-Ökonomie als Kernstück jeglicher Kapitalismuskritik.“ (14)

Nicht nur linke Feministinnen, auch Teile der „Neuen Linken“ nach 1968 und auch die Autonomen kritisieren, dass Marx und die Marxisten die Kleinfamilie als bloßes „Überbauphänomen“ behandeln, indem sie die Ausbeutung der Frau im Haus nicht annähernd so klar erfasst haben wie die Ausbeutung von Mann und Frau in der Produktion.
Dies gilt vielen als Beleg für die Erstarrung der marxistischen Theorie bzw. ihrer männlichen Geprägtheit / Borniertheit.
Muss also diese „Leerstelle“ gefüllt werden, brauchen wir eine „Kritik der politischen Ökonomie“ der Hausarbeit?

Die Debatte um die so genannte „Care-Ökonomie“ macht dreierlei deutlich: Erstens handelt es sich angesichts von geschätzt 2,4 Millionen (unter)bezahlten / überausgebeuteten „Hausarbeiterinnen“ allein in Westdeutschland (viele von ihnen Migrantinnen) eher nicht um ein Problem aus den 1970er Jahren. Zweitens wird die Frage uns in Zukunft noch verstärkt beschäftigen, denn das Versorgungsdefizit (etwa in der Pflege) oder neudeutsch die „Care-Krise“ wird sich in einer profitgesteuerten Gesellschaft dramatisch verschärfen:

„Aufgrund des Produktivitätsfortschritts sind viele Dinge unseres Alltags heute sehr viel billiger als noch vor 40 Jahren.
Ein Auto lässt sich in immer kürzerer Zeit bauen. Doch die Erziehung eines Kindes oder die Pflege eines kranken Menschen dauert heute noch genauso lange wie früher (…) Care-Arbeit wird somit im Vergleich zur Produktion von Industriegütern arbeitsaufwendiger und teurer.“ (15)

Und drittens zeigt sich hier deutlich, dass „Frauenförderung“ unter kapitalistischen Vorzeichen bzw. ein Mainstream gewordener klassenunspezifischer Feminismus nur neue, größere soziale Ungleichheiten / Diskriminierungen hervorruft.
Denn das Verhältnis der erfolgreichen, gutverdienenden „feministischen“ Frau zu Hausarbeiterinnen ist wohl eher das von „Herrin und Magd“ als das von „Geschlechtsgenossinnen“.

„Ohne Theorie keine Revolution“ – einverstanden.
Aber was bedeutet das für die revolutionäre Praxis?

Die „Neue Frauenbewegung“ hat wichtige Anstöße für einen umfassenderen und radikaleren Anti-Kapitalismus gegeben.
Wir (Frauen und Männer) dürfen nicht erst auf den Sozialismus warten, um patriarchalische Institutionen und Normen anzugreifen.

Die aktuellen Erscheinungsformen des Feminismus scheinen uns allerdings für eine Befreiungsperspektive nicht nur vom Kapital, sondern auch vom Patriarchat eher hinderlich als förderlich. Einerseits ein klassenunspezifischer Ultra-Feminismus (Frauen und Männer als „Klassen“, zurückgehend auf Shulamith Firestones „Dialectics of Sex“ 1975).
Andererseits ein angepasster “Staatsfeminismus” der Gender- / Gleichstellungspolitik. Wobei wir keineswegs abstreiten, dass es auch heute noch ernsthafte Versuche gibt, Feminismus antikapitalistisch und Antikapitalismus feministisch zu definieren (exemplarisch nennen wir mal Gisela Notz).

Die Parole „Lohn für Hausarbeit – Auch Berufstätigkeit macht nicht frei“ schließlich trägt schon gar nicht dazu bei, „die Verhältnisse zum Tanzen zu bringen“. Übrigens auch dann nicht, wenn sie noch so linksradikal-operaiistisch aufgeladen wird („Die Sklaverei der Fabrik befreit nicht von der Sklaverei des Spülbeckens“). Sie hat vielmehr eine ungute Nähe zu „Herdprämien“ unterschiedlichster Provenienz, etwa Christa Müllers familienpolitischen Vorschlägen.

Die „Proletarische Frauenbewegung“ hingegen – durchaus nicht so „piefig“ wie bisweilen unterstellt und schon gar nicht verantwortlich für jeden „linken Pascha“ – hat in dieser Frage größeres subversives Potential. Von August Bebel 1879 („Die Frau und der Sozialismus“) über Lenin und Alexandra Kollontai (in der frühen SU immerhin der erste Versuch der Menschheitsgeschichte, die Theorie in die Praxis umzusetzen) bis zu Angela Davis („Woman, Race, Class, 1975)
lautete ihre Losung: Hausarbeit gehört abgeschafft und vergesellschaftet, sprich ausgelagert und professionalisiert.

Das wird im Kapitalismus nicht funktionieren, weshalb es für uns dabei bleibt: Ohne Sozialismus keine Befreiung der Frau, ohne Befreiung der Frau kein Sozialismus.

Die Volksfront ist seit Stalin schon…

…Hemmschuh jeder Revolution. Wir setzten dagegen: Die Einheitsfront(methode). Klingt furchtbar altbacken nach 1920er Jahren und Ernst Thälmann (obwohl gerade der in dieser Frage…lassen wir das). Wie wir das Ding nennen, ist uns egal. Aber der Inhalt / die Methode ist eines unserer wichtigsten Essentials.

Zunächst etwas Begriffsklärung, denn unter „Einheitsfront“ versteht ja jeder was anderes. Für uns ist das mehr als antifaschistische Einheitsfront, mehr als Aktionseinheit und auch etwas anderes als das, was Gramsci darunter verstand, der sie im Sinne seines „Stellungskrieges“ in den westlichen Demokratien (im Gegensatz zum „Bewegungskrieg“ der Oktoberrevolution) interpretierte und sozusagen „überdehnte“ (Einheitsfront als Bündnis der Arbeiterklasse mit der Bauernschaft). Nach unserem Verständnis geht es um eine generelle Herangehensweise von RevolutionärInnen an Gewerkschaften und reformistische Massenorganisationen.

Als „Linie“ beschlossen auf dem IV. Weltkongress der III. Kommunistischen Internationale (KI) Ende 1922, wurden die Grundlagen der Einheitsfront-Orientierung bereits auf dem III. Weltkongress im Sommer 1921 gelegt. Das Abebben der revolutionären Welle von 1917 – 20 (Niederlage der bayrischen und ungarischen Räterepublik, desaströse „Märzaktion“ der KPD) korrespondierte mit einer gewissen Erholung des Kapitalismus in Europa, was eine Revidierung der Bucharinschen „Offensivtheorie“ unumgänglich machte. Lenin, Trotzki und Radek waren anfangs in der Minderheit, konnten sich aber schließlich gegen die von Sinowjew unterstützten Ultralinken aus Deutschland (Ruth Fischer, Urbahns, Maslow), Holland (Pannekoek, Gorter) und Italien (Bordiga) durchsetzen (Lenin sprach später davon, auf diesem Kongress „auf dem äußersten rechten Flügel“ gestanden zu haben)

Im Rückblick betrachtet, war die Einheitsfront-Linie sozusagen das korrekte „Mittelding“ zwischen den dann folgenden Extremen der „Sozialfaschismus-Politik“ (ab 1928) und der Volksfront-Orientierung (ab 1935).

Aber was bringen uns heute solche Betrachtungen über „anno Tobak“? Die Debatte zwischen „Sinowjewisten“ und „Leninisten“ drehte sich vor allem um die Frage „Einheitsfront von unten“ oder „Einheitsfront von oben“. Denn nicht nur die Hoffnungen auf einen baldigen Sieg der Revolution in Deutschland und Mitteleuropa mussten spätestens 1923 (Niederlage des „deutschen Oktober“) vorläufig begraben werden, auch die „mehrheits-sozialdemokratischen“ und „zentristischen“ Parteien (in Deutschland SPD und USPD) waren keinesfalls erledigt oder verschwunden, sondern weiterhin Massenparteien, was die Frage auf die Tagesordnung setzte, welche Taktik ihnen gegenüber einzuschlagen sei.

„Einheitsfront von unten“ ist bis heute das Credo aller Ultralinken (16). Motto: Einheit mit sozialdemokratischen Arbeiter oder Basisgliederungen? Bitte gerne, aber niemals mit ihren verräterischen Führungen! Das ist genau das, was Einheitsfront-Politik nicht ist. Es setzt nämlich voraus, was fehlt: Den klaren Bruch der Basis reformistischer Organisationen mit ihrer Führung.

Natürlich gab und gibt es jede Menge korrupter Arbeiterführer, die offenen „Klassenverrat“ begehen. Denken wir z.B. an Norbert Hansen, den Ex-Transnet-Chef und heutigen DB-Vorstand, stellt sich auch bei uns umgehend Brechreiz ein.
Selbstverständlich hat Ebert die deutsche Novemberrevolution und Brandt die portugiesische Nelken-Revolution verraten. Aber eine solche „personalisierte“ Sichtweise vernebelt das Wesen des Reformismus anstatt es zu erhellen.
Die LINKE z.B. ist nicht deshalb reformistisch, weil ihr Chef ein porschefahrender Verräter ist – vielmehr entspricht die Politik von Klaus Ernst dem aktuellen Bewusstsein der Mehrheit der Mitglieder und Wähler der Partei. Auf der LL-Demo 2011 skandierten die GenossInnen von RIO den (aktuell ergänzten) Klassiker:

„Wer hat uns verraten? Sozialdemokraten! Wer war mit dabei? Die Linkspartei!“
Klingt hübsch, ist aber total dämlich. Denn dadurch werden die (ja durchaus vorhandenen) Risse zwischen Führung und Basis zugeschüttet statt geweitet.

Damit aus „Rissen“ „Gräben“ werden, braucht es die „Einheitsfront von oben“, soll heißen: Angebote zur Einheit müssen sich immer an die gesamte Organisation incl. Ihrer Führung richten. Lehnt die Führung ab, muss sie das den eigenen Leuten erklären – nimmt sie an, läuft sie immer Gefahr, dass in der gemeinsamen Aktion eine Dynamik entsteht, die sich nicht mehr oder schwer kontrollieren lässt.

Kluge Einheitsfront-Politik grenzt sich aber nicht nur ab nach links (außen), sondern auch nach rechts. Das Volksfront-Konzept taugt weder in revolutionären noch in nicht-revolutionären Zeiten. Der Kapitalismus wird nicht mit noch so raffinierter Regierungspolitik gestürzt (die Besitzenden und Mächtigen lassen sich ihren Besitz und ihre Macht nicht einfach „wegtransformieren“).

RevolutionärInnen sollten sich deshalb nur an solchen Regierungen beteiligen, die den tatsächlichen Bruch angehen wollen und können, sich also auf revolutionäre Mobilisierungen, Massenstreiks etc. und nicht auf Parlamentsmehrheiten stützen.

Volksfrontregierungen, also Regierungen von linken / Arbeiterparteien mit bürgerlichen Parteien – das zeigen die klassischen Beispiele Frankreich 1934 – 38, Spanien 1936 und Chile 1973 – sorgen in Zeiten des Umbruchs vor allem für eins: Desorientierung und Demobilisierung. Sie schüren nämlich fast zwangsläufig Illusionen in die Institutionen des bürgerlichen Staates: Armee und Polizei, Parlamente und Gerichte. Sich auf die zu verlassen ist – wie das tragische Beispiel Allende zeigt – nicht nur politisch tödlich.

In ruhigen Zeiten bedeuten Volksfronten oder „anti-monopolistische“ Bündnisse nichts anders als Eintritt von Linken in bürgerliche Regierungen. Selten als Senior-, meist als Juniorpartner. Das Ergebnis ist immer dasselbe: Mitverwaltung der kapitalistischen Krise, Legitimierung von Spar- und Privatisierungspolitik, sie machen die „Drecksarbeit“.

Versteht sich eigentlich von selbst, aber bevor es Missverständnisse gibt, noch mal expressis verbis: Auf wen bezieht sich die oben dargelegte Orientierung? Natürlich auf die LINKE und den DGB, aber natürlich nicht auf SPD und GRÜNE, die spätestens seit ihrer „Agenda-Politik“ (wir brauchen das nicht auszuführen) gewöhnliche bürgerliche Parteien geworden sind.

Konstituierendes, unverzichtbares Element der Einheitsfrontorientierung ist das Prinzip der Klassenunabhängigkeit – „Einheitsfront“ mit bürgerlichen, kapitalistischen Parteien ist „Volksfront“. Das heißt allerdings nicht, SPD und GRÜNE aus Aktionseinheiten auszugrenzen (genauso wie keiner was dagegen hat, wenn kritische CDU’ler bei den Protesten gegen ‚Stuttgart 21’ mitmachen).

Zur „Gewerkschaftsfrage“ erübrigen sich historische Analogien – niemand schlägt heute so was vor wie „RGO-Politik“ (17) Wir sind bekennende Anhänger der Einheitsgewerkschaft. Erstens sind große und starke Gewerkschaften schlagkräftiger als kleine und schwache. Zweitens hat die Einheitsgewerkschaft im „kollektiven Gedächtnis“ der ArbeiterInnenklasse in Deutschland im Gegensatz zu Italien oder Frankreich einen besonderen Stellenwert, was mit der traumatischen Erfahrung des Hitler-Faschismus zu tun hat (genauer mit der ihn erst ermöglichenden Spaltung der ArbeiterInnenbewegung in Sozialdemokraten und Kommunisten).

Aber: Keine Regel ohne Ausnahme. Noch so große (Einheits-)Gewerkschaften sind kein Selbstzweck. Wenn es in bestimmtem Sektoren kleine, aber kämpferische Alternativen zu Standortlogik, Co-Management und Verzichtspolitik gibt, müssen wir diese unterstützen. Allerdings nicht ohne genau zu prüfen, ob das (klassen)kämpferische oder eher klientelistische oder gar „gelbe“ Spartengewerkschaften sind – die GdL ist was anderes als Cockpit oder Marburger Bund.

Noch mal kurz zurück nach „linksaußen“. Einer unserer Lieblingsautonomen war der kürzlich (viel zu früh) gestorbene
Peter Paul Zahl. Nach einem Schusswechsel mit der Polizei wurde er Anfang der 1970er Jahre verhaftet, zunächst zu vier Jahren und dann vom BGH in einem skandalösen Schauprozess zu 15 Jahren verknackt. In seiner berühmten Verteidigungsrede „Massenfront und Guerilla einen“ ließ er es richtig krachen: „Die Grenzen der Möglichkeiten der Massenfront werden von den staatlichen Machtorganisationen gezogen, von Werkschutz und Gerichtsvollzieher, von Bullen, Grenzschutz und Polizei und gelben Gewerkschaften.“ (18)

Wir hätten Lust mit Euch zusammen „PPZ“ post mortem zu beweisen, dass er „die Möglichkeiten der Massenfront“ schwer unterschätzt hat.

Für sozialistischen Anti-Stalinismus

Wir sind ja nicht gerade als „Philo-Stalinisten“ bekannt, aber Distanzierungsorgien wie anlässlich der Lötzsch’schen „Kommunismus“-Debatte halten wir für unnötig und schädlich. Von keinem Christen, der sich zum Christentum äußern will, wird verlangt, zunächst selbst anklagend über alle Verbrechen der Kirchengeschichte zu referieren. Diesbezüglichen Attacken von rechts sollten wir mit Max Horkheimers populärem Postulat begegnen: Wer vom Kapitalismus nicht reden will, soll vom Faschismus schweigen. Sehr schön (weil konkret) umgesetzt hat das die LINKE-Fraktion im NRW-Landtag, die detailliert nachwies, wie stark CDU- und FDP-Fraktionen nach 1945 von Alt-Nazis durchsetzt waren.

„Delegitimierung“ der DDR, um von den kapitalistischen Zumutungen im vereinten Deutschland abzulenken? Das unterschreiben wir, fügen aber hinzu: Auch wir sind für die „Delegitimierung“ der DDR – allerdings aus einer eindeutig marxistisch-sozialistischen Perspektive! Denn die DDR war eben objektiv kein „gescheiterter Sozialismus-Versuch“, sondern von Anfang an ein „Pufferstaat“ im außenpolitischen Interesse der SU. Die „Stalin-Note“ von 1952 zeigt, dass der ökonomische und gesellschaftliche Charakter der neuen „Volksdemokratien“ den stalinistischen Bürokraten herzlich egal war, solange sie nur diese Funktion erfüllten (damit bestreiten wir keinesfalls etwa den zehntausenden Aktivisten der ‚ANTIFA-Komitees’ nach 1945 ihren ehrlichen Willen, den Sozialismus aufbauen zu wollen). Das sieht nicht nur die linke, sondern auch die „rechte“ kommunistische Opposition so:

„Die S.U. ist in den Satellitenländern nicht, um dort den Sozialismus einzuführen, sondern um das eroberte Gebiet nicht den Westmächten zufallen zu lassen. Die so genannten sozialistischen Errungenschaften sind solange nichts anderes als Angliederung an die politische und wirtschaftliche Grundlage der Sowjetunion, als die Massen dieser Gebiete sicht nicht ihrer bemächtigen.“ (Heinrich Brandler an Isaak Deutscher am 3.3.1958) (19)

Hier zeigt sich, dass Stalinismus mehr ist als Terror und Gulag, sein konzeptioneller Kern (neben der Volksfront-Strategie) lautet „Sozialismus in einem Land“ und erklärt z.B. überhaupt erst die Stalinisierung der KI. Deren organisatorische Liquidierung 1943 (politisch war sie seit spätestens seit 1928 tot) war nur konsequenter Schlusspunkt der Linie „Diplomatie statt Klassenkampf“, die im Hitler-Stalin-Pakt ihren tragischen und verabscheuungswürdigen Höhepunkt fand.

„Die Haltung zur Sowjetunion ist der Prüfstein für jeden Kommunisten“ – diese, übrigens verkürzte Thälmann-These von 1926 wurde von Generationen von Trotzkisten auf ihre eigene (teilweise tragikomische) Weise ernst genommen.
An dieser Frage kam es zu Dutzenden Spaltungen, Fusionen und erneuten Spaltungen, die jungen Militanten von heute unmöglich zu erklären sind.

Wir können uns daher durchaus vorstellen, mit GenossInnen in einer Organisation zusammen zu arbeiten, für die die untergegangene SU „staatskapitalistisch“ oder wie auch immer „bürokratisch“ war (die AVANTIS sprechen z.B. von „bürokratischen Staatswirtschaften“), obwohl wir diese Kategorien analytisch und politisch nach wie vor für falsch bzw. ungenau halten. (20) Auch wenn dies momentan völlig unrealistisch ist, muss darüber hinaus eine Zusammenarbeit auch möglich sein mit „Traditionskommunisten“, die – ohne gleich zu Trotzkisten oder Anarchisten zu mutieren – (ernsthaft) „poststalinistische“ Positionen beziehen (Wir nennen mal exemplarisch den Genossen Steigerwald).
Schluss (nicht mit der Bereitschaft zu Diskussion und Aktionseinheit, aber mit der Bereitschaft zur Bildung einer gemeinsamen Organisation) ist für uns da, wo 70 Jahre Stalinismus abgesehen von einigen „Exzessen“ („Wo gehobelt wird, da fallen Späne“) gerechtfertigt oder sogar verklärt werden und der Zusammenbruch von 1989 auf den Verrat von Chrustschow und / oder Gorbatschow zusammenschnurrt (ebenfalls nur exemplarisch: Kurt Gossweiler, Hans Heinz Holz).

Dass neue Projekt wird vielleicht alles mögliche, aber sicher nicht „trotzkistisch“. Vom nicht-sektiererischen anti-stalinistischen Erbe des Trotzkismus zu lernen, kann ja trotzdem weiterhelfen. Egal ob wir sie „degenerierte Arbeiterstaaten“ oder „bürokratische Staatswirtschaften“ nennen, zuallererst gescheitert sind diese nicht-kapitalistischen und nicht-sozialistischen Gebilde nicht an äußerer imperialistischer Aggression (obwohl es die natürlich von Anfang an – Bürgerkrieg, „weißer Terror“ in der jungen SU – bis heute – Kuba – gab und gibt), sondern an innerer Erstarrung und „Verkrustung“, die übrigens nicht erst sozusagen schlagartig mit Lenins Tod einsetzte (das „Fraktionsverbot“ in der RKP datiert von Anfang 1921).

Eine Lehre aus diesen Fehlentwicklungen betrifft für uns die (Neu-)Justierung des Verhältnisses von Sozialismus und Demokratie. Sozialistische Demokratie wird im Gegensatz zur kapitalistischen „Demokratie“ die bürgerlichen Freiheiten mit sozialem Inhalt füllen. Trotzdem oder gerade deswegen wird es in einer nach-kapitalistischen Gesellschaft nicht weniger, sondern mehr auch „formale“ Rechte wie Organisations-, Presse-, Versammlungs-, Religionsfreiheit geben (müssen).

Ein Arbeiterstaat ist noch kein Sozialismus und schon gar kein Kommunismus, sondern (wie jeder Staat) eine Form der Klassenherrschaft (nur diesmal der Mehrheit über die Minderheit statt wie bis dato umgekehrt) und kann und darf also kein „Nachtwächterstaat“ sein. Er wird mit konterrevolutionären Bombenlegern keine „Runden Tische“ veranstalten, sondern sie in den Knast stecken. Aber in diesem Arbeiterstaat darf jede(r) völlig ungehindert die Meinung vertreten und verbreiten (!), dass der neue Staat Scheiße ist und wieder abgeschafft werden muss – also auch Friede Springer und Hubertus Burda (die dabei allerdings ohne ihre selbstredend sozialisierten Druckmaschinen werden auskommen müssen).

Wir stimmen hier mit den AVANTIS vollkommen überein: „AVANTI bekennt sich daher zum politischen Pluralismus und zum Recht auf eine legale Opposition auch in der sozialistischen Gesellschaft. Das schließt die Möglichkeit ein, dass eines Tages die Mehrheit der Bevölkerung beschließen könnte, den Sozialismus wieder abzuschaffen.
Gegen den möglichen konterevolutionären Versuch, die neue sozialistische Ordnung gewaltsam zu stürzen, sind repressive Maßnahmen unumgänglich, ihre Anwendung muss sich aber auf genau diesen Fall beschränken.“ (S. 62)

Der Kabarettist Werner Finck hat das mal etwas klassenunspezifisch, aber schön auf den Punkt gebracht: „Ich stehe hinter jeder Regierung, unter der ich nicht sitzen muss, wenn ich nicht hinter ihr stehe.“

Noch eine kurze Schlussbemerkung zum Schreckgespenst „Diktatur des Proletariats“: „Theoretisch und praktisch unbrauchbar geworden ist nach unserer Auffassung die Formel von der „Diktatur des Proletariats“. (S. 63) Praktisch ja, theoretisch nein. Denn jeder Staat ist eine Form der Klassenherrschaft (s. o.), aber natürlich ist der Begriff missverständlich und weckt unschöne Assoziationen. Da wir mit dem Begriff „Rätedemokratie“ eine wunderbare Alternative haben, sollten wir die „Diktatur des Proletariats“ aus unserer täglichen Agitation und Propaganda streichen, aber trotzdem genug Arsch in der Hose und theoretische Kenntnisse haben, um sie gegen Attacken von rechts inhaltlich zu verteidigen.

Deines Feindes Feind ist (nur manchmal) dein Freund

Früher war ja bekanntlich alles schöner und vor allem übersichtlicher. Im Trikont kämpften Befreiungsbewegungen gegen den Imperialismus – Punkt. Heute muss Mensch sich mit dem „molekularen Bürgerkrieg“ (H.M. Enzensberger)
rumschlagen, also mit durchgeknallten Warlords und talibanösen Irren. Der unübersichtlichen internationalen Lage entspricht daheim eine nachgerade babylonische Begriffsverwirrung beim Thema „(Anti-)Imperialismus“.

Das Thema „Krieg und Frieden“ wird eines der entscheidenden in der aktuellen Programmdebatte der LINKEN, denn ihre „Regierungsfähigkeit“ entscheidet sich nicht daran, ob sie für 8 oder 10 € Mindestlohn eintritt, sondern an der Akzeptanz oder Nicht-Akzeptanz der bundesdeutschen NATO-Staatsraison. Erste ideologische Vorarbeiten zur Entsorgung der größten Hindernisse für eine Regierungsbeteiligung leistete bereits Gregor Gysi, indem er nicht nur einen bedingungslosen Pro-Zionismus in der LINKEN einforderte, sondern auch gleich jeglichen Anti-Imperialismus für „von gestern“ erklärte.

Wir sollten uns angewöhnen, auch in dieser Frage auf das Kleingedruckte zu achten. Sehr aufschlussreich sind die durch wikileaks bekannt gewordenen vertrauensbildenden Gespräche Gysis mit dem US-Botschafter in Deutschland (das sind so die Momente, in denen wir kurz, wirklich nur ganz kurz doch lieber „Einheitsfront von unten“ machen würden). (21)

Derartiger „Revisionismus“ setzt natürlich an am bellizistischen „Nie wieder Auschwitz“-Gerede der Fischers und Biermanns zur Legitimierung des Jugoslawienkrieges oder den Thesen Erhard Epplers, die „zynische Nicht-Intervention“ werde alsbald rechts zu Hause sein („Sollen sich die Neger doch gegenseitig umbringen“). Wir dürfen die Wirkung solcher Thesen nicht unterschätzen – bei einem 500.000-Mann-Gemetzel wie in Ruanda geraten auch Linke in’s Grübeln / Schwanken.

Dagegen setzen sollte die Linke allerdings nicht die teilweise bizarren Positionen der so genannten „Anti-Imperialisten“:
„Genauso kritikwürdig ist es aber, wenn linke Gruppen sich – ganz nach der Logik, dass der Feind meines Feindes mein Freund sein muss – mit den jeweiligen Gegnern der imperialistischen Staaten solidarisch erklären, unabhängig davon, was deren politische Ansichten und Praktiken sind. Dies gilt für die Solidarisierung mit dem jugoslawischen Regime unter Milosevic 1999 genauso wie für die mit dem Widerstand im Irak 2004, der jedenfalls hauptsächlich von Gruppen getragen wird, die keinerlei Bezug zu emanzipatorischen Ideen aufweisen.“ (S.52 / 53) Genauso isses.
Dem ganz breiten „anti-imperialistischen“ Bündnis von Kim über Ahmadinedschad und Lukaschenko bis Scheich Nasrallah sollte unser „Projekt“ keinesfalls beitreten. Wir sollten uns klar gegen diese außenpolitische Linie der ‚Jungen Welt’ und die Argumentation der „Anti-Imps“ stellen, denn für uns hören die Klassengegensätze nicht an den Grenzen des Trikont auf zu existieren (konsequenterweise hat sich der Vordenker der österreichischen ‚Anti-Imperialistischen Koordination’ AIK, Willi Langthaler, kürzlich von Marxismus und Klassenorientierung „losgesagt“).

Diese klare Frontstellung muss sich allerdings ihrerseits scharf distanzieren vom militanten „Anti-Anti-Imperialismus“ der so genannten „Anti-Deutschen“, die eben keine „linken Anti-Deutschen“, sondern „(verdammt) deutsche Anti-Linke“ sind. In ihren schärfsten Ausformungen handelt es sich um offenen Pro-Imperialismus.

Von Kopftüchern und Ehrenmorden

Die „Sarrazin-Debatte“ ist Ausdruck des wachsenden anti-muslimischen Rassismus in Deutschland. Bezeichnenderweise ist / wird dieser verbunden mit einem neuen „Sozial-Rassismus“ oder „Klassenrassismus“ (Pierre Bourdieu) von oben. Darüber hinaus scheinen Teile der herrschenden Klasse auf der Suche nach autoritären Alternativen zur parlamentarisch-demokratischen Form der Machtausübung zu sein (Spekulationen über eine mögliche „Sarrazin-Partei“).

Versteht sich von selbst, dass unser neues Projekt den Anti-Rassismus ganz oben auf die Agenda setzt. Wobei wir auch unser eigenes Denken und Sprechen ständig auf anti-muslimische „Einfallstore“ prüfen sollten: Tötet ein Deutscher seine Frau oder Tochter, ist das ein „Familiendrama“. Tut ein Türke oder Araber dasselbe, ist es ein „Ehrenmord“.

Andererseits verstecken sich für unseren Geschmack immer noch zu viele Linke hinter linksliberal-grünem PC-Schönsprech, um bei der Beschreibung der teilweise tristen „multikulturellen“ Realität nicht Beifall von der falschen Seite zu bekommen. Wir formulieren bewusst provokativ: Die Beförderung des „Mohrenkopfes“ zum „afroamerikanischen Schaumtörtchen“ (Herbert Knebel) hat noch keinen Schwarzen davor bewahrt, in der S-Bahn in Henningsdorf oder Mahlow angegriffen zu werden.

Es geht nicht um Ursachen und Funktion von Rassismus (da werden wir uns schnell einig), sondern zunächst um eine halbwegs realistische Beschreibung der gesellschaftlichen Realität. Linke dürfen ethnische Konflikte und Probleme nicht ausblenden, weil sie ihrem Ideal des „brotherhood of men“ zu widersprechen scheinen, sondern müssen erklären, dass es kein Türken- oder Araber-„Gen“ gibt. Unsere Botschaft lautet: Hier geht’s um Klassen-, nicht um Rassenfragen! Die Botschaft ist aber nur glaubwürdig, wenn die (migrantischen und deutschen Adressaten das Gefühl haben, dass die Absender wenigstens einen blassen Schimmer von ihrer Lage haben.

Das Thema Schulpflicht für muslimische Mädchen sollte die Linke nicht den Rechten überlassen. Das Mädchen aus „religiösen“ Gründen nicht zum Sportunterricht oder auf Klassenfahrten dürfen, ist in Berlin leider ein Massenphänomen, dass sie vom Biologieunterricht abgemeldet werden – noch – die Ausnahme. Selbstverständlich verteidigen wir das Recht auf Moschee-Bau und das Recht öffentlich Kopftücher zu tragen. Gleichzeitig muss aber sehr deutlich werden, dass wir Kopftücher für sexistischen Mist halten. Es gibt keine „Kopftuchpflicht“ im Koran, insofern hat das nichts mit religiöser Selbstbestimmung zu tun (auch wenn das viele Muslima natürlich subjektiv anders sehen), sondern v. a. mit religiös verbrämter patriarchalischer Unterdrückung der muslimischen Frauen.

Dieses Thema ist schon in unserer kleinen Gruppe nicht unumstritten, die GenossInnen der französischen NPA haben an dieser Frage 800 Leute verloren!

Avantgarde, Kaderpartei, Demokratischer Zentralismus?

Liebe autonome Freunde, folgt uns furchtlos in die dunkelsten Ecken der leninistischen Folterkammer! Spaß beiseite und zu einer ersten prinzipiellen Vorbemerkung. Der Versuch, die leninistische Organisationstheorie durch Verweis auf die stalinistisch-bürokratischen Praktiken nach Lenin zu kritisieren /widerlegen, erscheint uns methodisch fragwürdig:

„Es ist keine wissenschaftliche Verfahrensweise, ein Chirurgielehrbuch zu verurteilen, wenn ein Chirurg, der seine Studien auf Grund dieses Lehrbuchs gemacht hat, eine Operation verfehlt“ (Ernest Mandel „Zur Aktualität der leninistischen Organisationstheorie“)

Andererseits müssen wir natürlich alle Formeln und Losungen aus dem Arsenal des Marxismus auf ihre heutige Praktikabilität und „Anschlussfähigkeit“ prüfen (so sind wir ja auch schon mit der „Diktatur des Proletariats“ verfahren).

Das Gerede von der Avantgarde können wir gleich sein lassen, es führt zu gar nichts. Die zentrale Aussage des Gründungsdokuments der IV. Internationale ist aktueller denn je: „Die Krise der Menschheit ist die Krise der proletarischen Führung.“ Aber sicher nicht im Sinne einer „Selbstproklamation“ irgendwelcher Kleingruppen zur „Avantgarde“, sondern durchaus im Sinne der Avantis: „ Unsere Überzeugung war und ist, dass die heutige Gesellschaft revolutionär verändert werden muss und dass die hierfür notwendige gesellschaftliche Gegenmacht nicht allein aus spontanen Bewegungen bestehen kann, sondern die Beteiligung revolutionärer Organisationen braucht.“ (S. 7)

Wenn Ihr euch jetzt noch traut, „Beteiligung“ durch „Führung“ zu ergänzen (nicht zu ersetzen!) sind wir uns schon einig.

Im übrigen kennen wir auch keine einzige Gruppe oder Strömung mit revolutionärem Anspruch, die heute noch behauptet „Avantgarde“ zu sein (na gut, vielleicht mit Ausnahme der ‚Spartacist Arbeiterpartei’) – alle (oder viele) wollen es werden. Bitte sehr, nehmen wir’s doch einfach sportlich – wer die beste Politik macht, hat den größten Einfluss in der revolutionären Bewegung.

Soll das neue Projekt eine Kaderorganisation werden? Kommt drauf an, was Mensch darunter versteht. An den bizarren Ritualen der französischen Organisation ‚Lutte Ouvriere’ sollten wir uns jedenfalls nicht orientieren. Bei denen darf vom Sympathisanten zum Mitglied aufsteigen, wer 100 (festgelegte) Bücher gelesen und sich drei bis fünf Jahre „bewährt“ hat – aber nur wenn er drei „Bürgen“ mitbringen kann. Ebenfalls nicht empfehlenswert: Das Modell ‚KB (Nord)’ aus den 1970 /80er Jahren – unseres Wissens nach die einzige revolutionäre Organisation, deren Führung nicht nur nicht gewählt, sondern nicht einmal bekannt war.

Wichtig sind uns nur zwei Dinge: Das neue Projekt sollte keine Mitgliederpartei, kein Verein von „Karteileichen“ sein, sondern eine Organisation von Aktivisten. Zweitens ist es u. E. nicht zielführend jeden sofort aufzunehmen, der den Kapitalismus irgendwie doof findet oder was gegen Sparpolitik hat. Eine gewisse theoretische Basis (deshalb wichtig: nicht nur „Kampagnenreiterei“, sondern auch Selbst-Qualifikation), aber auch so was wie eine „corporate identity“ sollten wir schon verlangen, soll heißen: Wer bei dem Projekt mitmacht, sollten wissen warum hier und nicht bei der LINKEN oder Attac, bei RIO oder ‚Revolution’.

Eine Lanze brechen möchten wir für den Demokratischen Zentralismus („erfunden“ übrigens nicht von den Bolschewiki, sondern von der deutschen Sozialdemokratie). Ehrlich gesagt, wissen wir gar nicht, wie eine revolutionäre Organisation anders als „demokratisch-zentralistisch“ funktionieren soll, obwohl wir natürlich wissen, dass das bei vielen (auch solchen, die sehr wohl für „Verbindlichkeit“ eintreten) negative Assoziationen weckt. Wir können die „überörtliche Leitung“ gerne auch „Strategiekomitee“ nennen, wichtig sind uns Verbindlichkeit, Transparenz und umfassende demokratische Kontrolle.

Niemand soll das „Parteiprogramm“ auswendig lernen, aber einmal gefasste Beschlüsse (nach breiter, intensiver und demokratische interner Diskussion sollten schon für alle (einigermaßen) verbindlich sein – alles andere macht weder Spaß noch Sinn. Ein gewisser Grad an Autonomie für lokale / regionale Strukturen widerspricht dem keineswegs, denn die Bedingungen revolutionärer Politik sind in Berlin andere als in Lübeck oder Passau. Aber zentrale programmatische und strategische Aussagen müssen schon für die ganze Organisation gelten, was nicht heißt, dass eine Differenz nicht auch mal öffentlich ausgetragen werden kann.

Wir sind für gewählte (und jederzeit abwählbare!) Leitungsstrukturen auf allen Ebenen der Organisation. Das ist das demokratischste, weil transparenteste Verfahren. „Bewegungsstrukturen“ sind nach unserer Erfahrung oft nur scheinbar (basis-)demokratischer. Die häufige Intransparenz führt dazu, dass „informelle“ Strukturen leichteres Spiel haben.

Auch beim Thema „DemoZent“ sollten wir von schon gemachten Erfahrungen lernen. „Demokratie ohne Zentralismus“ führt zum Modell II. Internationale (oder zu so was wie der IL), „Zentralismus ohne Demokratie“ führt zum Modell III. Internationale nach 1924. Das eine geht nicht ohne das andere. Mehrheitlich gefasste Beschlüsse werden nur dann wirklich von allen umgesetzt, wenn es vorher eine freie und faire Diskussion gab und wenn die Minderheit nicht nur das statuarische, sondern auch tatsächliche Recht hat, darum zu kämpfen, demnächst Mehrheit zu werden. Deshalb muss es u. E. in einer revolutionären Organisation das Recht auf die Bildung von Tendenzen / Plattformen geben, ohne dass das dazu führt, sich nur noch mit sich selbst zu beschäftigen.

Ohne vernünftigen Kartoffelsalat kein richtiger Arbeiterstaat

Kein Mensch (auch kein linker Mensch) macht Politik ausschließlich aus altruistischen Gründen. Wir wollen uns selbst erfinden und verwirklichen, wir suchen alle soziale Bestätigung etc.pp.

Wer die gefühlt 231. Parteigründung avisiert, muss sich und anderen Rechenschaft ablegen über die (nicht nur politischen) Defizite revolutionärer Organisationen. Sexistisches, karrieristisches oder sonst wie asoziales Verhalten gibt es auch innerhalb solcher Organisationen.

Aus unserer Sicht ein noch nicht gelöstes Problem: Gerade kleine Gruppen mit hohem Aktivitätsgrad funktionieren nur zu oft als „Durchlauferhitzer“. (s. a. AVANTI, S. 9) Junge AntikapitalistInnen gehen mit Feuereifer an’s Werk, sind nach ein paar Monaten, spätestens Jahren ausgebrannt und fortan für die politische Arbeit verloren. Dann kommt die nächste Generation – und wird wieder „verheizt“ (natürlich gibt es erfahrungsgemäß auch andere Gründe wie Berufseinstieg, Familiengründung u. a.).

Wie also kriegen wir es hin, dass Mensch, auch ohne „unbezahlter Berufsrevolutionär“ zu sein, also mit sagen wir 2 – 3 Terminen pro Woche am Organisationsleben nicht nur teilnehmen, sondern es auch tatsächlich mitbestimmen kann?

Bei der Beantwortung dieser und anderer Fragen zum „Innenleben“ revolutionärer Organisationen sollten wir manchmal arroganten Großstädter unseren Blick vielleicht mal auf kleinere oder mittlere Orte schweifen lassen.

Wir hatten vor kurzem Gelegenheit, in Nürnberg Einblick in die Arbeit der dortigen radikalen Linken zu nehmen. Wir müssen sagen, wir waren beeindruckt. Die Gruppe ‚Organisierte Autonomie’ (OA), die seit ca. 30 Jahren existiert, zeichnet sich durch eine kontinuierliche politische Arbeit, die Ausrichtung auf soziale Fragen, sowie die Verbindung von jungen und alten GenossInnen aus. Verbindlichkeit und Orientierung haben dazu geführt, dass die OA ein breites soziales Milieu um sich gruppieren kann und in der Stadt sowohl von der Presse als auch von den etablierten Parteien als politischer Faktor wahrgenommen wird. Auch solche lokalen / regionalen Erfahrungen sollten in unseren Diskussions- und Organisationsprozess einfließen.

Wie weiter? Mit unseren „8 Geboten“!

1. Keine Angst vor der eigenen Courage
Eigentlich muss mensch nur zwei Sachen wissen, um loszulegen:
„Eure Ordnung ist auf Sand gebaut“ und „Etwas Besseres als den Tod finden wir überall“.

2. Offene Baustellen
Stimmt natürlich nur halb. Ohne theoretische Reflexion und Weiterentwicklung geht’s nicht.
Apropos theoretische Weiterentwicklung: Das Papier ist eh schon viel zu lang und trotzdem gibt’s noch jede Menge Diskussionsbedarf: Steine sind (keine) Argumente? – Die „Gewaltfrage“ Bedingungsloses Grundeinkommen?
International organisieren, aber wie und wo? Antritt bei Wahlen? – Kleine Differenz mit AVANTI S. 41?
Kämpfen wir um jeden Arbeitsplatz? Israel / Palästina / Existenzrecht Israels? – Volle Überseinstimmung mit AVANTI S. 39 Permanente Revolution oder Etappenmodell?

3. Vorsicht vor Kommunismus-Befürwortern
Jedenfalls dann, wenn das „K-Wort“ nur in Sonntagsreden auftaucht.
Ein Paradebeispiel sind die Genossen von ‚Marx 21’. Über die Pariser Kommune, die Oktober- oder Novemberrevolution könnten wir uns sofort einigen – aber wehe es geht um Kritik am Berliner Senat!

4. Die Magie der großen Zahl
Vom Klassenfeind lernen heißt siegen lernen, sprich: Wir brauchen einen „Benchmark“.
Ein „revolutionärer Attraktionspol“ muss eben nicht nur „revolutionär“, sondern auch „attraktiv“ sein – „Nichts ist erfolgreicher als der Erfolg“. Die NPA organisiert momentan ca. 6000 Leute, es gibt keinen vernünftigen, objektiven Grund, warum wir das mittelfristig nicht auch schaffen können. Diejenigen Organisationen der radikalen Linken in Deutschland, die mit dem eigenen Aufbau am weitesten sind (z.B. SAV und Avanti) organisieren z. Z. einige hundert Leute (die MLPD mit ihren ca. 2000 Leuten ist ein finanzieller und „kultureller“ Sonderfall).

D.h. ein Start mit z.B. 600 Leuten wäre kein wirklicher Schritt vorwärts im Vergleich zum Bestehenden, denn es gibt so was wie die „Magie der (großen) Zahlen“. 1000 ernsthaft Interessierte / Beteiligte bis Mitte / Ende diesen Jahres sind ein anspruchsvolles, aber realistisches Ziel.

5. Seriosität vor Tempo
Das ist sicher Konsens, trotzdem sollten bis zum Sommer schriftliche Stellungnahmen, Vorschläge, Diskussionsbeiträge vorliegen. Nach dem Sommer sollte eine Art Fahrplan für den weiteren Prozess beschlossen werden.Vorbereitend sollten wir öffentliche Diskussionen ins Auge fassen.

6. Mut zur Abgrenzung
Natürlich müssen wir den Prozess mit größtmöglicher Offenheit allen ernsthaft Interessierten gegenüber gestalten. Eine produktive Diskussion wird aber nur möglich sein, wenn in grundsätzlichen Fragen Einigkeit besteht, sonst bringt das für alle Beteiligten nichts. Endlose Debatten beispielsweise mit militanten „Anti-Deutschen“ führen nur zu Lähmung und Frustration. Soll unser Diskussionsprozess nicht ein folgenloser Schlagabtausch werden, müssen wir den Mut zur Ab- und zur Not auch Ausgrenzung aufbringen. Und zwar nicht nur bezüglich der Inhalte, sondern auch was den Diskussionsstil angeht. Worauf wir definitiv keine Böcke haben, sind Debatten z.B. über die Frage: Was ist ein „Ereignis“? (Wir haben auch noch andere Hobbys)

7. Wer Visionen hat, soll zum Arzt gehen
…meinte jedenfalls Helmut Schmidt. Im Trikont hungern täglich eine Milliarde Menschen – nicht weil es zu wenig Nahrung gibt, sondern weil es zu wenig bezahlbare Nahrung gibt. In den USA wird Obdachlosigkeit zum Massenphänomen – nicht weil es zu wenig, sondern weil es zu viele Wohnungen / Häuser gibt.
Wir finden: Wer heutzutage kein Interesse an Visionen hat, soll da bleiben oder hingehen, wo Schmidt schon lange ist: Zur Sozialdemokratie.

8. Schluss mit dem Dornröschenschlaf
Am Anfang sprachen wir vom „Akzent der III. Internationale“ und dem „sozialpartnerschaftlichen Dornröschenschlaf“ in Deutschland. Damit ist jetzt Schluss – wir erinnern uns: Die Konferenzsprache der III. Internationale war lange Zeit Deutsch!

Sozialistische Initiative Berlin-Schöneberg, Jan. – März 2011
Kontakt: Michael-Pruetz [at] gmx [dot] de

Update vom 28.04.2012:
Wir sind ab sofort von der mail-Adresse: sib[at]nao-prozess.de erreichbar.

Anmerkungen

(1) zitiert nach: „Woher kommen die richtigen Ideen der Menschen?“ Eine Kontroverse zwischen MANIFESTO und LOTTA CONTINUA Internationale Marxistische Diskussion, Merve-Verlag Berlin, 1972

(2) Das haben wir uns (leider) nicht ausgedacht. Auf einer MV der LINKEN Berlin-Neukölln wurde das ernsthaft als ein Erfolg der bezirklichen Zählgemeinschaft (so was ähnliches wie eine Bezirksregierung) von SPD, GRÜNEN und LINKEN gepriesen.

(3) zitiert nach JW vom 29./30.1.11.

(4) Werner Seppmann, Projekt Klassenanalyse@BRD, zitiert nach Prütz/Schilwa „Crossover-Welle in Postmodernien“, alle Belege dort.

(5) „Entscheidend (jedenfalls für MarxistInnen) ist nicht, was die Produzenten herstellen / anbieten (Güter oder Dienstleistungen), sondern wie, d.h. unter welchen Bedingungen deren Produktion erfolgt. Relevant ist nicht die Benennung der Tätigkeit (Arbeiter, Angestellter, Wissensarbeiter), sondern die Frage, ob es sich um Lohnarbeit handelt oder nicht.“ a.a.O.

(6) „Als >Dienstleistungen< werden gegenwärtig beispielsweise fast alle ausgelagerten Tätigkeiten klassifiziert, bei denen die gleiche (produktionsbezogene) Arbeit zu geringeren Löhnen(…) geleistet werden muss.“ „Unter Herausrechnung dieser Effekte kommt Seppmann zu dem Ergebnis, dass auch >in den entwickelten Industrieländern zwei Drittel aller Arbeitsplätze einen produktionsbezogenen Charakter besitzen!“ a.a.O.

(7) „Festzuhalten bleibt aber, dass alle mit diesen „Neuzusammensetzungen“ verbundenen (und von den Herrschenden transportierten!) Aufstiegshoffnungen von den profitgetriebenen Umgestaltungen der Lebens- und Arbeitswelten zerrieben wurden. Der Weg des „Blaumanns“ aus der Fabrik in die „Weiße-Kragen-Jobs“ der administrativen und kaufmännischen Bereiche führte eben nicht zum sozialen Aufstieg in eine „Angestelltenklasse“, sondern endete durch die nivellierende Wirkung der EDV- und Kommunikationstechnologien im „neue Büroproletariat.“ a.a.O.

(8) Seppmann, a.a.O.

(9) Seppmann, a.a.O.

(10) zitiert nach Gisela Notz, „Wohin flogen die Tomaten? – Entstehungsgeschichte(n), Risiken und Nebenwirkungen der Neuen Frauenbewegung“, in: Sozialistische Hefte 16, in: SoZ „Um 1968 herum“

(11) Etwa Konrad Eckhoff, „Feminismus und Marxismus“, in: Die Internationale Nr. 8, 1975

(12) zitiert nach „Sozialismus und marxistischer Feminismus“, in: AGM 2005

(13) Wally Seccombe, „Hausfrau und Hausarbeit im Kapitalismus“, in: Die Internationale Nr. 7, 1975

(14) Sabine Scherbaum, „Lohngleichheit? Geht gar nicht.“, Beilage FEMINISMUS JW vom 8.3.11

(15) Scherbaum, a.a.O.

(16) Dass mit Sinowjew ausgerechnet der Chef der KI eine ihrer „Ahnherren“ ist, dürfte den meisten jungen Militanten von heute nicht bekannt, und wenn doch, ziemlich peinlich seien, worüber wir ein gewisses Amüsement nicht verhehlen können.

(17) Die „Revolutionäre Gewerkschaftsopposition“ (RGO) gegen den ADGB war im Gewerkschaftsbereich die Entsprechung der „Sozialfaschismus“-Politik der KPD gegenüber der Sozialdemokratie – mit entsprechend desaströsen Folgen.

(18) zitiert nach Christof Meueler, Nachruf auf „PPZ“ in der JW

(19) zitiert nach Jens Becker, „Heinrich Brandler – Eine politische Biographie“

(20) Die These vom Staatskapitalismus wurde zuerst von Karl Korsch in seiner Zeitschrift „Kommunistische Politik“ vertreten, fand ihre bizarre Wiederauferstehung im maoistischen (Zerr)bild vom sowjetischen „Sozialimperialismus“ und wird bis heute vertreten etwa von Tony Cliffs IST (deutscher Ableger: ‚Marx 21’). Dass eine Gesellschaft mit verstaatlichten Produktionsmitteln, Planwirtschaft (wie bürokratisch auch immer), Außenhandelsmonopol „(staats)kapitalistisch“ gewesen sein soll, ist natürlich Humbug. Dass diese Theorie nach 1968 besonders populär wurde, deutet auf ihre psychologisch-politische „Entlastungsfunktion“ im Kalten Krieg hin – wenn diese merkwürdigen Dinger zwischen Kapitalismus und Sozialismus „staatskapitalistisch“ waren, hatte die Linke das Problem vom Hals und brauchte sich nicht länger sagen lassen „Geh’ doch in’ Osten“.

Die These vom bürokratischen Kollektivismus wurde 1939 von Bruno Rizzi in seinem Buch „La Bureaucratisation du Monde“ entwickelt, in dem er gleich eine ganze historische Epoche zwischen Kapitalismus und Sozialismus heraufziehen sah. Stalin-Russland, Hitler-Deutschland und das New-Deal-Amerika Roosevelts seien die die Pioniere der neuen Gesellschaftsordnung. Später kamen etwa Burnham („Revolution der Manager“) und Djilas („Die neue Klasse“) zu ähnlichen Schlüssen. Dass die stalinistischen Staaten „bürokratisch“ waren, kann wohl kaum bestritten werden, aber der ADAC oder die BfA sind auch bürokratisch – den „bürokratischen Staatswirtschaften“ der AVANTIS fehlt es offenkundig an analytischer Präzision.

(21) Genosse Gysi glaubte den amerikanischen Botschafter bezüglich des „Anti-Imperialismus“ der LINKEN beruhigen zu müssen. Die Forderung nach Auflösung der NATO habe man (da sowieso unrealistisch) in den Programmentwurf geschrieben, um die konkretere (und gefährlichere) Forderung nach dem Austritts Deutschlands aus der NATO nicht zum Zuge kommen zu lassen. Es ist bezeichnend für die Stimmungslage und das Kräfteverhältnis in der LINKEN, dass Gysi sich nicht mal zu einer Stellungnahme zu diesem unglaublichen Vorgang genötigt sah.


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